Mittwoch, 2. März 2011

Dynamit Shopping



Potosi schockt! Sie ist eine Stadt der Rekorde. Auf 4090 Meter Höhe und in einer kargen und steppenartigen Landschaft gelegen, gilt die im Jahre 1545 gegründete Bergbausiedlung Potosi als die höchstgelegene Stadt der Welt. Es mag im Himalaya vielleicht noch ein paar Dörfer und Städtchen geben, die höher liegen, aber mit 170.000 Einwohnern ist Potosi wohl die nennenswerteste aller höchstgelegenen Städte. Im frühen 17. Jahrhundert war sie sogar eine der größten und bedeutungsvollsten Metropolen der damaligen Zeit, vergleichbar mit Paris oder London. Dies verdankte die Stadt einzig und alleine dem Cerro Rico, dem "reichen Berg" mit seinen nahezu unerschöpflichen Silbervorkommen. Schon die Inkas ließen hier einst Silber fördern. Zur Blütezeit des Spanischen Kolonialreichs war der Berg die Hauptquelle des spanischen Silbers. Den Preis für diesen Reichtum zahlten mehr als 8 Millionen Menschen, die in den Minen des Cerro Rico den Tod fanden, zum größten Teil Indianer, die die katastrophalen Arbeitsbedingungen in dieser Höhe nicht überlebten - ein trauriger Rekord.

Auch heute noch ist der Berg die Lebensgrundlage der Region. Nach wie vor fördern hier Bergabeiter mühsam Silber und Zink zutage, in der Hoffnung, sich und ihren Familien ein karges Einkommen zu sichern. Ich wusste bereits aus Erzählungen von anderen Mitreisenden, dass es möglich war, die Minen des Cerro Rico zu "besichtigen", dass ich aber darauf achten solle den richtigen Touranbieter zu wählen. Abgesehen von den Sicherheitsaspekten wurde mir vor allem eines ans Herz gelegt: einen Anbieter zu finden, der seinen Profit mit den Minenarbeitern teilt und nicht alles für sich behält. Mit "Koala TOurs" hatte ich schließlich ein solches Angebot gefunden und ich wurde nicht enttäuscht. Mit 5 Mann waren wir eine sehr angenehme, kleine Gruppe und unser Guide einst selbst ein Minenarbeiter, der genau wusste was er tat und wovon er sprach. Trotz der durchaus abschreckenden Verzichtserklärung, die wir anfangs alle zu unterschreiben hatten, fühlte ich mich in guten Händen. Und das war wichtig! Denn was in den nächsten 3 Stunden folgen sollte war alles andere als ein spaßiges Unterfangen.

Zunächst wurden wir alle in eine Bergwerksmontur gesteckt: Helm, Stirnlampe, Overall, Mundschutz, Gummistiefel, alles, was eben dazu gehört. Zugegebenermaßen fand ich es anfangs etwas affig, damit herumzulaufen, doch wie sich später herausstellen sollte, hatte jedes einzelne Teil dieser Rüstung seine mehr als relevante Daseinsberechtigung, und am Ende des Tages hätte ich auch keines davon missen wollen. In einer kurzen Einführung lernten wir, dass seit der großen Silberinflation, in dessen Folge unzählige Minenangestellte ihre Arbeit verloren, die Minenarbeiter nun unabhängig arbeiteten. Das heißt jeder Arbeiter ist seither für sich selbst verantwortlich und verkauft das was er selbst zu Tage fördert, abzüglich eines bestimmten Prozentsatzes, den er an die Minengesellschaft zu entrichten hat. Diese Neuerung bedeutete einerseits eine starke Verbesserung der allgemeinen Arbeitslage, brachte andererseits aber auch seine Probleme mit sich. Insbesondere die Tatsache, dass die Arbeiter plötzlich ihre Arbeitsgeräte und andere Notwendigkeiten des Bergbaus selbst bersorgen mussten. Doch wo es Nachfrage gibt, dauert es meist nicht lange, bis es auch das entsprechende Angebot gibt. In Potosi kam dies in Form des "Mercado de los Mineros". Auf diesem "Markt der Minenarbeiter" fand und findet sich nach wie vor alles, was das Stollenherz höher schlägen lässt: Schaufeln, Pickel, Werkzeuge, Helme, Stahlschuhe, ..

Vor allem aber drei Dinge, die es hier zu erwerben gibt sind besonders erwähnenswert. Zum einen stehen in großen Tüten Unmengen von "Cocablättern" im Angebot. Dieselben Cocablätter, die andernorts zur Kokaingewinnung verwendet werden und in Deutschland unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, gelten hierzugegen als das Allheilmittel gegen Hunger, Müdigkeit, Kälte und gegen die Höhenkrankheit. Der Saft der zerkauten Cocablätter ist auch einzige was die Arbeiter den ganzen Tag über in den Minen zu sich nehmen - abgesehen von Getränken. Zu letzterem gehört vor allem der 93 prozentige Alkohol, der an den meisten Ständen ebenfalls zum Verkauf bzw. zum Verzehr angepriesen wird und damit das zweite Kuriosum meiner Aufzählung darstellt. Das dritte und gleichzeitig das absolut Unvorstellbarste ist jedoch das Dynamit. Ja, richtig gelesen: Auf Potosis Straßenmarkt kann man hochexplosiven Sprengstoff einkaufen - Dynamit, ganz legal und ohne Probleme. Stückpreis 3 Dollar.

Es kam, wie es kommen musste. Da wir regelrecht dazu aufgefordert wurden, den Minenarbeitern ein paar "Aufmerksamkeiten" mitzubringen schlenderte ich also über den Minenmarkt, und kaufte ein: 500 Gramm Cocablätter, eine Flasche puren Alkohol, Explosionsverstärker, Zündschnuren und zwei Stangen Dynamit! Verrückte Welt.



Dann ging die eigentliche Tour los und wir betraten mit Geschenken "bewaffnet" den Stollen des berüchtigten Cerro Rico. Die ersten 100 Meter konnte man noch einigermaßen aufrecht gehen, doch dann begann das große Krabbeln. Immer tiefer stiegen wir in die Mine ein und mit jedem Meter mussten wir uns kleiner machen, bis wir irgendwann nur noch am Boden entlang krochen. So viel zum spaßigen Teil der Veranstaltung. Unerträglich dagegen war die Luft, bzw. das was noch von ihr übrig war. Diese Staub- und Giftwolke war zum Schneiden dick und es war absolut unmöglich, sich ohne ausgedehnte und ergiebige Hustenanfälle durch den engen Raum zu bewegen. Einmal stach uns ein derart beißender und offensichtlich lebenszeitverkürzender Geruch in die Nase, dass es mich nicht überraschte, als der Guide uns verriet, dass es hier verdächtig nach Arsen roch und wir uns nun besser in einen Parallelstollen verkriechen sollten. Nachdem auch noch ein Teil der Decke direkt neben uns herunterbrach, war mir klar, dass der Zustand dieses Berkwerks sich in den vergangenen 500 Jahren nicht großartig verändert hatte. Das selbe galt für die Arbeitsbedingungen.

Die ersten beiden Minenarbeiter, die wir antrafen, waren 17 Jahre alt. Sie verrieten uns, dass sie schon seit drei Jahren hier arbeiteten, bis zu 13 Stunden täglich. Wie in Trance hämmerte unweit entfernt ein anderer "Minero" mühsam seine Metallstange in den Berg. Auf die Frage, ob ihm seine Arbeit gefallen würde, antwortete er mit einem entschiedenen "Nein. Aber es gibt keine andere Wahl." Wir schenkten ihm Cocablätter und eine Stange Dynamit und erkundeten weiter das riesige Minenlabyrinth. Nach 3 Stunden war es endlich geschafft. Ich hatte nicht nur die Nase sondern auch die Lunge voll von diesem Berg und war heilfroh wieder an der Erdoberfläche zu stehen. Selten hat frische Luft so gut geschmeckt wie hier.

Es ist absolut unbegreiflich, dass Menschen unter derartigen Bedingungen ihren Lebensunterhalt verdienen und dabei tagtäglich ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel setzen müssen. Ich bin nachhaltig schockiert von dieser Erkenntnis und der festen Überzeugung, dass dies mit allen Mitteln verhindert und verboten gehört. Die Mineros selbst sehen dies etwas nüchterner und beschreiben ihren Arbeitsalltag so: "Wir essen die Mine, die Mine isst uns."


Fun Facts:
  • Potosí war jahrhundertelang ein Synonym für Reichtum. Im Spanischen gibt es immer noch die Redensart "vale un Potosí" für: „Es ist ein Vermögen wert.“
  • Der 'Mercado de los Mineros' gilt weltweit als der einzige öffentliche Markt, an dem man legal Dynamit kaufen kann.
  • Der spanische Versuch, schwarze Sklaven einzuführen, scheiterte an der sauerstoffarmen Höhenluft. Die meisten starben, bevor sie unter Tage eingesetzt wurden.

Checklist:
  • eine Stange Dynamit gesprengt,
  • Sprengstoff, Kokablätter und 93%igen Alkohol eingekauft
  • durch höchstgelegenste Stadt der Welt gebummelt







































































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