Montag, 25. April 2011

Radtour auf dem Mond



Das Niemandsland zwischen Bolivien und Chile war ein einziges Gefälle. Kaum hatte ich im spektakulär gelegenen Grenzhäuschen Boliviens meinen Ausreisestempel in den Pass bekommen wurde ich einem Bus zugewiesen, der mich zu der Wüstenoase San Pedro de Atacama bringen sollte. Rechts flankiert von dem landschaftsüberragenden und schneebepuderten Vulkan Licancabur und links mit Aussicht auf die Unendlichkeit der Atacamawüste fuhren wir dann kurz darauf mehr als 2000 Höhenmeter hinab zum endgültigen Ziel meiner 3-tägigen Odyssee. Der rasende Abstieg von den Anden, dauerte insgesamt weniger als eine Stunde und wir mussten zwischendurch sogar anhalten, um die Bremsbeläge zu schonen, derart steil ging es wüstenwärts.

So grandios die Abfahrt durch das Niemandsland war, so anstrengend war schließlich der eigentliche Grenzübertritt nach Chile. Ein gefühltes Jahrtausend dauerte es, bis die Beamten unseren Bus, alle darin Reisenden und das Gepäck bis ins letzte Atom zerlegt und erfolglos nach verboten eingeführten Lebens- und Rauschmitteln untersucht hatten. Erdrückend dabei war vor allem die plötzlich vorhandene Hitze, die mit jedem verlorenen Höhenmeter rasch und ungewohnt angestiegen war und uns alle "kalt" erwischte. Seit Lima war es nicht mehr so hitzig gewesen auf meiner Reise und in meinen ersten Atacama Stunden hatte ich meine liebe Mühe, mich an diesen radikalen Temperaturwechsel zu gewöhnen. Der Akklimatisierung nicht sonderlich zuträglich war außerdem die atemstockende Trockenheit dieser Gegend und der Staub, der förmlich in der Luft stand.

Doch all diese Umstände konnten über eines nicht hinwegtäuschen. Mit dem Eintritt nach Chile war ich zweifelsohne wieder angekommen in der Zivilisation. Die ersten wagen Anzeichen dafür zeigten sich bereits auf den ersten Metern in Form von erkennbaren Mittelstreifen und ordentlichen Straßenschildern, welche frisch asphaltierte und schlaglochfreie Straßen säumten. Um einiges schockierender und auffälliger dagegen waren die Anzeichen, die San Pedro de Atacama ausstrahlte, denn dieses staubige Flecklein Gottes Erde war unfassbar übervölkert von Touristen. Mir war es ein ausgesprochenes Rätsel, wie all die Sonnenbrillen- und Kaki-Hemdenträger dort hingelangt waren, aber fest stand, sie waren da.

Gerade einmal 5000 Einwohner zählt das offensichtlich sehr beliebte Ziel für Wüsten Touristen aus aller Welt, und vermutlich liege ich nicht allzu weit von der Wahrheit entfernt wenn ich behaupte, dass jeder einzelne von diesen Einwohnern entweder in einem Hotel, einem Restaurant oder bei einem Tourenanbieter arbeitet. Nach all meinen Reisekilometern durch das vergleichsweise wenig erschlossene Bolivien tat ich mir zugegebenermaßen etwas schwer und war irritiert durch die ungewohnten Touristenmassen. Doch die kommerzielle Ausrichtung des Ortes hatte auch etwas Gutes: Es gab endlich Gelegenheit zum Wäsche waschen. Ich war absurd dreckig und es war allerhöchste Zeit, dass die wenigen noch in meinem Besitz verbliebenen T-Shirts - mein Bestand hatte in den letzten Wochen auf ominöse Art und Weise eine dramatische Dezimierung erfahren - wieder einmal einem reinigenden Waschgang ausgesetzt wurden.

Dies geschah gerade noch rechtzeitig vor dem geplanten Treffen mit Vanja, einer Freundin von zuhause, die sich angekündigt hatte, zeitgleich mit mir durch Chile zu reisen. Nach wochenlanger e-mail Korrespondenz hatten wir es nun tatsächlich geschafft, uns tatsächlich zu verabreden, und zwar hier in der Atacamawüste. In Lenor-frischer Garderobe holte ich sie und ihre holländische Reisekameradin am nächsten Tag vom Busbahnhof ab. Wir feierten ein freudiges Wiedersehen und verbrachten den Tag über viel Zeit mit dem Austausch erlebter Reisegeschichten, dem neuesten Klatsch und Tratsch von zuhause sowie heißen Tips und Tricks für die Weiterreise. Auch wenn es etwas eigenartig und nur schwer einzusortieren war, nach so langer Zeit und so weit weg von zuhause, ein bekanntes Gesicht zu treffen, so war es doch schön, wieder einmal ein Stück Heimat nahe zu wissen.



Der nächste Tag fühlte sich an nach Tatendrang. Ich lieh mir von einem der unzähligen Anbieter ein Mountainbike aus und machte mich auf zum 20 Kilometer entfernten, landschaftlichen Höhepunkt der Region, dem "Valle de la Luna" (Tal des Mondes). Das im Regenschatten der Anden gelegene Tal gilt als einer der trockensten Orte der Erde überhaupt. Hier gibt es Wetterstationen, die in ihrer Geschichte nicht einen einzigen Tropfen Niederschlag aufgezeichnet haben!
Dem entsprechend fühlte sich auch nach wenigen Kilometern mein Mund an. Ich konnte noch so viel Wasser trinken, der Dauerdurst wollte nicht vergehen. Die Lippen waren längst aufgeplatzt und meine Zähne knirschten permanent auf Sandstaub. Doch all dies konnte in keiner Weise meine Begeisterung für diese unwirkliche Gegend gefährden. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, sich einsam und mit sandigem Wind im Haar durch diese bizarre Landschaft zu bewegen. Nicht umsonst trägt das Tal seinen Namen. Denn ringsherum erhoben sich die skurrilsten Gesteinsformationen und eine eindrucksvolle Palette von Farben und Formen ließen den Untergrund wie die Oberfläche eines fremden Planeten erscheinen. Alles in allem, fühlte es sich wahrhaftig so an, als würde ich hier über den Mond radeln.

Nachdem ich das Tal einmal komplett durchquert hatte wartete zum krönenden Abschluss ein atemberaubender Sonnenuntergang auf der großen Düne. Da etliche Tourenanbieter dieses Ereignis ebenfalls in ihrem Programm hatten, war es dort um die Einsamkeit zwar geschehen, dafür traf ich aber noch einmal Vanja, die zusammen mit zwei anderen Mädels einen ereignisreichen Tourentag verbracht hatte und ebenfalls gekommen war, um das Verschwinden des großen Feuerballs zu beobachten. Dieser tauchte mit seinem Untergang die gesamte Umgebung in ein intensives und durchdringendes rot, so dass sich der Mond allmählich eher in eine Marslandschaft verwandelte.

Ob Mond oder Mars, bei einbrechender Dunkelheit kehrten wir mit unseren Raketen aus dem All zurück in die Stadt, wo wir gemeinsam zu Abend aßen, bis spät in die Nacht Gespräche führten und uns dann voneinander verabschieden mussten, da es für mich früh am nächsten Morgen schon wieder weiter ging auf die nächste Etappe meiner Reise: eine 24 Stunden Busfahrt durch die Atacama Wüste nach Santiago de Chile.


Fun Facts:
  • Die Atacamawüste ist etwa 15 Millionen Jahre alt und gilt als die trockenste Wüste der Erde. Im Durchschnitt fällt hier nur etwa 1/50 der Regenmenge, die im Death Valley in den USA gemessen wird.
  • Speziell das Valle de la Luna ("Tal des Mondes") gilt als einer der trockensten Orte der Erde überhaupt. In dieser Gegend gibt es Wetterstationen, die in ihrer Geschichte nicht einen einzigen Tropfen Niederschlag aufgezeichnet haben.
  • Wegen seiner lebensfeindlichen Umgebung wurden im Valle de la Luna von der NASA unter anderem die Prototypen des Mars Rover getestet.
  • Die reichen Nitratvorkommen der Atacamawüste waren Auslöser für den Salpeterkrieg (1879-1884). Chile gewann den Krieg gegen Bolivien und Peru mit britischer Unterstützung und konnte dadurch nach Norden hin sein Land erweitern.
  • In Sichtweite von San Pedro de Atacama befindet sich der 5920 m hohe Lincancabur Vulkan. In dessen Krater liegt der höchstgelegene See der Erde.

Checklist:
  • Rad gefahren auf dem Mond
  • Sonnenuntergang beobachtet auf einer Düne in der trockensten Wüste der Erde

Dienstag, 12. April 2011

Abenteuer Allrad Teil 2: Flamingos und Geysire



Die Nacht war dramatisch. Der Himmel kippte sich förmlich über uns aus und es regnete unablässig. Als ob sich in dieser Nacht ein neuer Ozean dazu entschloss hatte, in Entstehung zu geraten, schüttete es aus allen Wolken und wollte gar nicht mehr aufhören. Da stieß selbst unser solides Salzhotel an die Grenzen seiner Schutzwirkung und der Regen bahnte sich in den frühen Morgenstunden allmählich und tröpfchenweise seinen Weg bis in unsere Schlafräume. Es wurde ungemütlich. Viel Zeit zum nass werden blieb dennoch nicht, denn bereits um 6:30 Uhr wurden wir zum Frühstück geweckt - schließlich stand uns ein langer Tag auf Rädern bevor.

Der erste Blick nach draußen verriet, was der Tag aber vor allem werden sollte: Abenteuerlich! Es stellte sich heraus, dass das gesamte Altiplano, das wir an diesem Vormittag durchqueren sollten überschwemmt und aufgeweicht war in Schlamm und Matsch. Wir machten uns bereit für eine wahrhaftige Allrad-Ralley. Die Fahrer der anderen Jeeps, die auch in unserem "Salzhotel" übernachtet hatten, beschlossen alle gemeinsam im Convoy zu fahren, um sich im Falle von Problemen gegenseitig aus der Patsche helfen zu können. Ein weiser Beschluss, wie sich später herausstellen sollte.

Nachdem sich unsere lustige Truppe in den Jeep gequetscht hatte, das Gepäck auf dem Dach verstaut war und Clown Louis mit seinen brasilianischen Gackerhühnern wieder das Bordentertainment an sich gerissen und allerbeste frühmorgendliche Laune versprüht hatte, ging sie los, unsere wilde Fahrt nach Chile.

Um es vorweg zu nehmen, dieser Off-Road Tag war landschaftlich mit das Spektakulärste was ich je gesehen habe. Dass man irgendwo auf der Erde innerhalb nur eines einzigen Tages derart vielseitige und abwechslungsreiche Eindrücke aufsammeln kann, kannte ich bisher nur von der Südinsel Neuseelands. Dort wie hier, wartet hinter jeder Kurve und hinter jedem Berg ein neues, überwältigendes Panorama auf den vorbeiziehenden Betrachter. Absolut faszinierend.

Doch der Reihe nach. Los ging die Ralley wie gesagt in der völlig überschwemmten Ebene. Die nächtliche Sintflut hatte die sonst angeblich gut passierbare Fläche in einen riesigen Schlammsee verwandelt. Ich war ernsthaft der Ansicht, dass ein Durchkommen unmöglich sei. Doch ich wurde eines Besseren belehrt - zumindest teilweise. Denn das Wunder Allrad schafft wirklich Unglaubliches. Mir war es ein absolutes Rätsel, wie wir uns tatsächlich vorwärts bewegen konnten in diesem Schlam(m)assel. Doch ganz offensichtlich ging es. Wie in einem Amphibienfahrzeug schaukelten wir stundenlang durch den braunen Mansch während seitlich von uns die Fontänen weg spritzten. Doch irgendwann kam, was kommen musste. Wir steckten fest. Glücklicherweise fuhren wir im Convoy und Hilfe war nah. Mit vereinten Kräften und einem furiosem Rückwärtsgang wurde der Karren wieder aus dem Dreck gezogen - im wahrsten Sinne des Wortes.

Gegen Mittag waren wir aus dem Gröbsten raus und die Schlammpartie fand mit zunehmendem Gewinn an Höhe allmählich ihr Ende. Wir waren nun in einer hügeligen, kargen und felsigen Steppe unterwegs, an deren Horizont sich majestätisch und grandios die schneebedeckten Vulkane abzeichneten. So sanft und anmutig die Landschaft auch war, so rauh und unbarmherzig war der Untergrund auf dem wir fuhren. Abermals hatte ich allergrößten Respekt vor den Ingenieursleistungen der Allrad Autobauer. Über schuhkartongroße, kantige Felsbrocken schmetterte unser Jeep hinweg als seien es kleine Kieselsteine - wie gesagt, mir war das alles ein Rätsel. Immerhin konnte ein Plattfuß mein Weltbild diesbezüglich wieder teilweise herstellen.

Der Höhepunkt des Tages kam farbenfroh zur Mittagszeit. Im rosa Gewand und auf Stelzen präsentierten sich uns ganze Heeresscharen von Flamingos. Überraschenderweise bevölkern die geselligen Watvögeln, die ich zuvor eigentlich ausschließlich mit Florida assoziert hatte, auch das bolivianischen Hochland, welches mit seinen fantastischen Bergen und den grün und rot gefärbten Seen eine wahrlich würdige Kulisse lieferte für den eleganten Auftritt der stolz stöckelnden Vögel.

Nach dem Essen gewannen wir weiter an Höhe, durchquerten bizarre Felslandschaften und vereinzelt sogar Schneefelder, bevor wir am frühen Abend unsere luftige Herberge für die Nacht erreichten. Es war bitterkalt. Die Kälte schlich durch alle Räume und wir froren wie junge Schlosshunde. Immerhin gab es als Vorspeise für das Abendessen eine duftige Gemüsesuppe. Ich hätte mich am liebsten reingelegt. Auch die Tatsache, dass ich nach bewährtem Zwiebelschichten-Modell sämtliche Klamotten trug, die in meinem Besitz waren, änderte nichts daran, dass ich die klirrend kalte Nacht über mit den Zähnen klapperte. Und so war auch der Weckdienst um 4:30 Uhr überflüssig, weil wir ohnehin schon alle wach lagen und die nächsten beiden Stunden herbeisehnten.

Diese führten uns zwar noch einmal weiter in die Höhe, endeten dafür aber an dem Geysirfeld "Sol de Mañana." Die dampfenden und fauchenden Fugen, dieser vulkanisch hochaktiven Gegend waren ein guter Anfang um die Körperkerntemperatur wieder etwas anzuheben. Die eigentliche Frosterlösung fanden wir dann aber pünktlich zum Sonnenaufgang in den auf 5000 Meter (!) hoch gelegenen heißen Quellen. Eine kochende Stunde lang lag unser gesamter Convoy in dem heißen Vulkanwasser und jede Minute davon war ein Hochgenuss. Erst als jede einzelne Zelle meines Körpers vollständig aufgeglüht war, verließ ich die ungewöhnliche Badewanne und fiel über das Pfannkuchenfrühstück her, das unsere gute Fee in der Zwischenzeit auf der Rückbank des Jeeps zubereitet hatte.

Hier trennten sich unsere Wege. Während der Rest meiner Jeep-Crew wieder zurück nach Uyuni fuhr ging meine Reise von nun an wieder alleine weiter. Denn die Grenze nach Chile war nur noch einen Steinwurf entfernt. Mit neuer Wärme und Energie im Blut verabschiedete ich mich von gewonnenen Freunden und machte mich auf in Richtung Atacama Wüste.


Fun Facts:
  • Die meist gespielten Lieder im bolivianischen Radio während der drei-tägigen Jeep Tour waren Whitney Houstons "My heart will go on" und Chris de Burghs "Lady in Red."
  • Die "Laguna Verde" des Nationalparks (Reserva Nacional de Fauna Andina Eduardo Abaroa) ist wegen ihrem hohen Anteil an kupferhaltigen Sedimenten grün gefärbt. Die rote Färbung der "Laguna Colorada" kommt von der dort vorherrschenden Algenart und vom hohen Mineralstoffgehalt seines Wassers.

Checklist:
  • in Schlamm versunken
  • Flamingos gesehen
  • auf 5000 Meter bei Sonnenaufgang in heißen Quellen gebadet
  • Geysirdampf geatmet
  • in Schneeballschlacht gekämpft
  • gefroren

Mittwoch, 16. März 2011

Abenteuer Allrad Teil 1 - Salzwüsten und Säulenkakteen



Lächerliche 7 Stunden sollte die heutige Busfahrt nach Uyuni dauern, absolut keine Herausforderung für mein erprobtes Sitzfleisch. Ich stellte mich also auf einen vergleichsweise entspannten Ritt durch das bolivianische Hochland ein und war froh gelaunt. Letzteres vor allem weil ich mit dem heutigen Tagesziel den Ausgangspunkt für ein weiteren und lang herbeigesehnten Höhepunkt meiner Reise erreichen sollte: Die Salzwüste von Uyuni.

Schon vor Jahren stolperte ich über faszinierende Bilder von diesem Ort und mir war damals schon sonnenklar, dass ich dort einmal hinreisen würde. Nun war es so weit. Ich war gespannt wie ein Bogen und fragte mich, ob die Gegend wirklich so magisch sein würde wie ich sie mir immer ausgemalt hatte? Nur sieben mickrige Stündchen lagen zwischen mir und der Antwort und ich war mir fast sicher, dass ich sie noch heute bekommen würde. Doch wie so oft wenn man sich einer Sache zu sicher ist, kommt es anders, als man denkt. Um eine viereinhalb Stunden lange Geschichte kurz zu machen: wir steckten fest. Ein LKW war direkt vor uns an einem unglücklichen, steilen Straßenengpass zum Erliegen gekommen und blockierte die Fahrbahn. Es folgten zähe Stunden und erfolglose Versuche den Laster zu reparieren, ihn abzuschleppen, etc.. Mit Fabio, meinem Leidensgenossen und Freund gewordenen Sitznachbarn vertrieb ich mir die Zeit mit Dosenwerfen auf einem nahe gelegenen Schutthaufen und stellte mich bei der hereinbrechenden Dunkelheit allmählich auf eine Übernachtung im Bus ein.

Doch plötzlich kam Bewegung ins Spiel. Der Fahrer des ersten Buses im Stau der Gegenfahrbahn fasste sich ein Herz und versuchte sein Gefährt an dem LKW vorbei zu manövrieren. Millimeterarbeit. Nach 10 Minuten war es tatsächlich geschafft! Dem mutigen Beispiel folgten andere. Auch unser Fahrer war schließlich überzeugt davon, dass die enge Passage entgegen aller Erwartungen doch zu überwinden sei. Wir alle mussten zu Fuß die Stelle passieren und drückten die Daumen, dass alles gut gehen würde. Dies tat es. Wir stiegen ein, fuhren weiter und kamen mit üppig Verspätung nachts in Uyuni an. Dort wurde mir wieder einmal klar, warum die Ankunft in einer fremden Stadt bei Tageslicht stets der nächtlichen Ankunft zu bevorzugen sei. Der Ort erinnerte an eine Geisterstadt im Wilden Westen. Ein staubiger Wind wehte die rollenden Steppenläuferbüsche durch die verlassenen und dunklen Straßen mit ihren noch dunkleren Gestalten. Alles war etwas unheimlich. Ich war froh, dass es Fabio an meiner Seite gab, als wir uns auf die Suche machten nach einer Bleibe. Schließlich fanden wir eine Herberge, die zwar genau so verlassen schien, wie der Rest der Stadt, uns aber immerhin einen Raum mit vier Wänden und einer abschließbaren Tür bot.

Der nächste Morgen zeigte dagegen ein komplett entgegengesetztes Bild. Alles schien wie ausgetauscht. Draußen auf der Straße sprudelte das geschäftige Marktleben, die Sonne strahlte und um den überschaubaren Kern der kleinen Stadt tummelten sich jede Menge Rucksackreisender. Sie alle waren hier, in der selben Mission wie wir: Das Allrad Abenteuer nach Chile! Denn die einzige Möglichkeit, um von dieser abgeschiedenen Gegend nach Chile zu gelangen war per Jeep. Die Touren der meisten Anbieter dauerten drei Tage, so auch die Tour, in die Fabio und ich uns einbuchten. Sie sollte noch am selben Tag beginnen!

Um 11 Uhr saßen wir im Jeep. Neben unserem Fahrer Gustavo und seiner Frau Bibi, die für unser leibliches Wohl sorgte, waren noch vier weitere Backpacker an Bord. Dylan aus Denver und meine Wenigkeit lagen in der Nationenaufstellung eindeutig in der Unterzahl gegenüber der brasilianischen Fraktion: Fabio, Luis, Betha und Maura. In anderen Worten: in den folgenden Tagen durften wir eine sehr heitere, laute, temperamentvolle und unterhaltsame Zeit auf dicht gedrängten Rückbänken erleben. Good times!

Die Fahrt ging los und was nur 30 Kilometer später folgte ist in Worte kaum zu fassen. Wir erreichten den Salzsee "Salar de Uyuni", mit 160 Kilometern Länge und 130 Kilometern Breite, die größte Salzfläche der Erde. Meine hohen Erwartungen an diesen Ort konnten nur schwer übertroffen werden, doch die Fahrt durch diese grenzenlose und endlose weite, weiße Fläche mit ihrem Himmel, der von einer einzigartigen Strahlkraft blau durchleuchtetet war vermochte dies zu tun. Es raubte mir den Atem. Ich war wie hypnotisiert von dieser weltfremden Atmosphäre und musste mir immer wieder klar machen, dass dies alles echt war und ich mich nicht durch einen Traum bewegte, dem Himmel so nah!



Wie musste sich Neil Armstrong gefühlt haben, bei seinem ersten Schritt auf dem Mond? Ich glaube der Antwort auf diese Frage etwas näher gekommen zu sein, als wir nach einstündiger Fahrt zum ersten Mal aus dem Jeep ausstiegen und eintraten in eine andere Welt. Als könnte man dem Untergrund nicht recht trauen, tasteten wir uns die ersten Meter über die krustige und harte Öberfläche. Es dauerte jedoch nicht lange bis unsere ganze fröhliche Besatzung anfing zu toben, zu rennen zu hopsen und zu tanzen. Und natürlich wollte keiner hier weggehen, bevor er nicht eine unverdaulich riesige Menge der obligatorischen Sprungfotos im Kasten hatte.

Am Mittag erreichten wir die Insel Incahuasi. Bereits am fernen Horizont konnte man die flimmernde Silhouette ihrer schroffen Felsbrocken erkennen, die unwirklich und skurril aus der Salzkruste herausbrach. Die unumstrittenen Helden dieser Insel sind jedoch die bis zu 20 Meter hohen und teilweise mehr als 1200 Jahre alten Säulenkakteen, wahre Lebenskünstler, die sich wie ruhige Wächter über ihre lebensfeindlichen Umgebung erhoben. In ihrer Gesellschaft aßen wir zu Mittag, bevor wir unseren Westweg durch die weiße Wüste weiterführten.

Pünktlich zum Sonnenuntergang kamen wir schließlich am Ufer des Sees an und waren nicht mehr weit entfernt von unserem Nachtlager. Das so genannte "Salzhotel" war ein bestes Beispiel dafür, wie auch die Menschen es verstanden, sich an ihre Umgebung anzupassen. Es bestand ausschließlich aus Salz: Mauern aus Salz, die Betten aus Salz, Tische, Stühle - alles aus Salz. Die schlichten Zimmer boten Raum für knapp 30 Betten. Nach und nach trudelten dann weitere Jeeps ein, vollgepackt mit interessanten Menschen. Alle versammelten sich am Ende eines langen und überwältigenden Tages in dem salzigen Gemeinschaftsraum und es wurde bis spät in die Nacht gemeinsam gegessen, gespielt und gelacht.


Fun Facts:
  • Wasser ist ein rares Gut in Uyuni. In der Jugendherberge bezahlt man pro 5 Minuten duschen umgerechnet einen Dollar. Die Einhaltung der Duschzeit wird überwacht von dem Herbergspersonal.
  • Der Salar de Uyuni ist mit 10.000 km der größte Salzsee der Welt. Seine Salzkruste hat eine Dicke von 2 - 7 Metern.
  • Die Salzmenge des Salar de Uyuni wird auf 10 Milliarden Tonnen geschätzt, davon werden etwa 25.000 Tonnen pro Jahr abgebaut. Auch ein riesiges Vorkommen an wertvollem Lithium wird hier vermutet und könnte dem ärmsten Land Südamerikas bald einen kostbaren Exportrohstoff liefern.

Checklist:
  • nackt in der Salzwüste gestanden (Fotos gibt es auf dem Diavortrag;)
  • in einem Salzhotel übernachtet
  • an 1000-jähriger Kaktee gepiekst

Mittwoch, 2. März 2011

Dynamit Shopping



Potosi schockt! Sie ist eine Stadt der Rekorde. Auf 4090 Meter Höhe und in einer kargen und steppenartigen Landschaft gelegen, gilt die im Jahre 1545 gegründete Bergbausiedlung Potosi als die höchstgelegene Stadt der Welt. Es mag im Himalaya vielleicht noch ein paar Dörfer und Städtchen geben, die höher liegen, aber mit 170.000 Einwohnern ist Potosi wohl die nennenswerteste aller höchstgelegenen Städte. Im frühen 17. Jahrhundert war sie sogar eine der größten und bedeutungsvollsten Metropolen der damaligen Zeit, vergleichbar mit Paris oder London. Dies verdankte die Stadt einzig und alleine dem Cerro Rico, dem "reichen Berg" mit seinen nahezu unerschöpflichen Silbervorkommen. Schon die Inkas ließen hier einst Silber fördern. Zur Blütezeit des Spanischen Kolonialreichs war der Berg die Hauptquelle des spanischen Silbers. Den Preis für diesen Reichtum zahlten mehr als 8 Millionen Menschen, die in den Minen des Cerro Rico den Tod fanden, zum größten Teil Indianer, die die katastrophalen Arbeitsbedingungen in dieser Höhe nicht überlebten - ein trauriger Rekord.

Auch heute noch ist der Berg die Lebensgrundlage der Region. Nach wie vor fördern hier Bergabeiter mühsam Silber und Zink zutage, in der Hoffnung, sich und ihren Familien ein karges Einkommen zu sichern. Ich wusste bereits aus Erzählungen von anderen Mitreisenden, dass es möglich war, die Minen des Cerro Rico zu "besichtigen", dass ich aber darauf achten solle den richtigen Touranbieter zu wählen. Abgesehen von den Sicherheitsaspekten wurde mir vor allem eines ans Herz gelegt: einen Anbieter zu finden, der seinen Profit mit den Minenarbeitern teilt und nicht alles für sich behält. Mit "Koala TOurs" hatte ich schließlich ein solches Angebot gefunden und ich wurde nicht enttäuscht. Mit 5 Mann waren wir eine sehr angenehme, kleine Gruppe und unser Guide einst selbst ein Minenarbeiter, der genau wusste was er tat und wovon er sprach. Trotz der durchaus abschreckenden Verzichtserklärung, die wir anfangs alle zu unterschreiben hatten, fühlte ich mich in guten Händen. Und das war wichtig! Denn was in den nächsten 3 Stunden folgen sollte war alles andere als ein spaßiges Unterfangen.

Zunächst wurden wir alle in eine Bergwerksmontur gesteckt: Helm, Stirnlampe, Overall, Mundschutz, Gummistiefel, alles, was eben dazu gehört. Zugegebenermaßen fand ich es anfangs etwas affig, damit herumzulaufen, doch wie sich später herausstellen sollte, hatte jedes einzelne Teil dieser Rüstung seine mehr als relevante Daseinsberechtigung, und am Ende des Tages hätte ich auch keines davon missen wollen. In einer kurzen Einführung lernten wir, dass seit der großen Silberinflation, in dessen Folge unzählige Minenangestellte ihre Arbeit verloren, die Minenarbeiter nun unabhängig arbeiteten. Das heißt jeder Arbeiter ist seither für sich selbst verantwortlich und verkauft das was er selbst zu Tage fördert, abzüglich eines bestimmten Prozentsatzes, den er an die Minengesellschaft zu entrichten hat. Diese Neuerung bedeutete einerseits eine starke Verbesserung der allgemeinen Arbeitslage, brachte andererseits aber auch seine Probleme mit sich. Insbesondere die Tatsache, dass die Arbeiter plötzlich ihre Arbeitsgeräte und andere Notwendigkeiten des Bergbaus selbst bersorgen mussten. Doch wo es Nachfrage gibt, dauert es meist nicht lange, bis es auch das entsprechende Angebot gibt. In Potosi kam dies in Form des "Mercado de los Mineros". Auf diesem "Markt der Minenarbeiter" fand und findet sich nach wie vor alles, was das Stollenherz höher schlägen lässt: Schaufeln, Pickel, Werkzeuge, Helme, Stahlschuhe, ..

Vor allem aber drei Dinge, die es hier zu erwerben gibt sind besonders erwähnenswert. Zum einen stehen in großen Tüten Unmengen von "Cocablättern" im Angebot. Dieselben Cocablätter, die andernorts zur Kokaingewinnung verwendet werden und in Deutschland unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, gelten hierzugegen als das Allheilmittel gegen Hunger, Müdigkeit, Kälte und gegen die Höhenkrankheit. Der Saft der zerkauten Cocablätter ist auch einzige was die Arbeiter den ganzen Tag über in den Minen zu sich nehmen - abgesehen von Getränken. Zu letzterem gehört vor allem der 93 prozentige Alkohol, der an den meisten Ständen ebenfalls zum Verkauf bzw. zum Verzehr angepriesen wird und damit das zweite Kuriosum meiner Aufzählung darstellt. Das dritte und gleichzeitig das absolut Unvorstellbarste ist jedoch das Dynamit. Ja, richtig gelesen: Auf Potosis Straßenmarkt kann man hochexplosiven Sprengstoff einkaufen - Dynamit, ganz legal und ohne Probleme. Stückpreis 3 Dollar.

Es kam, wie es kommen musste. Da wir regelrecht dazu aufgefordert wurden, den Minenarbeitern ein paar "Aufmerksamkeiten" mitzubringen schlenderte ich also über den Minenmarkt, und kaufte ein: 500 Gramm Cocablätter, eine Flasche puren Alkohol, Explosionsverstärker, Zündschnuren und zwei Stangen Dynamit! Verrückte Welt.



Dann ging die eigentliche Tour los und wir betraten mit Geschenken "bewaffnet" den Stollen des berüchtigten Cerro Rico. Die ersten 100 Meter konnte man noch einigermaßen aufrecht gehen, doch dann begann das große Krabbeln. Immer tiefer stiegen wir in die Mine ein und mit jedem Meter mussten wir uns kleiner machen, bis wir irgendwann nur noch am Boden entlang krochen. So viel zum spaßigen Teil der Veranstaltung. Unerträglich dagegen war die Luft, bzw. das was noch von ihr übrig war. Diese Staub- und Giftwolke war zum Schneiden dick und es war absolut unmöglich, sich ohne ausgedehnte und ergiebige Hustenanfälle durch den engen Raum zu bewegen. Einmal stach uns ein derart beißender und offensichtlich lebenszeitverkürzender Geruch in die Nase, dass es mich nicht überraschte, als der Guide uns verriet, dass es hier verdächtig nach Arsen roch und wir uns nun besser in einen Parallelstollen verkriechen sollten. Nachdem auch noch ein Teil der Decke direkt neben uns herunterbrach, war mir klar, dass der Zustand dieses Berkwerks sich in den vergangenen 500 Jahren nicht großartig verändert hatte. Das selbe galt für die Arbeitsbedingungen.

Die ersten beiden Minenarbeiter, die wir antrafen, waren 17 Jahre alt. Sie verrieten uns, dass sie schon seit drei Jahren hier arbeiteten, bis zu 13 Stunden täglich. Wie in Trance hämmerte unweit entfernt ein anderer "Minero" mühsam seine Metallstange in den Berg. Auf die Frage, ob ihm seine Arbeit gefallen würde, antwortete er mit einem entschiedenen "Nein. Aber es gibt keine andere Wahl." Wir schenkten ihm Cocablätter und eine Stange Dynamit und erkundeten weiter das riesige Minenlabyrinth. Nach 3 Stunden war es endlich geschafft. Ich hatte nicht nur die Nase sondern auch die Lunge voll von diesem Berg und war heilfroh wieder an der Erdoberfläche zu stehen. Selten hat frische Luft so gut geschmeckt wie hier.

Es ist absolut unbegreiflich, dass Menschen unter derartigen Bedingungen ihren Lebensunterhalt verdienen und dabei tagtäglich ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel setzen müssen. Ich bin nachhaltig schockiert von dieser Erkenntnis und der festen Überzeugung, dass dies mit allen Mitteln verhindert und verboten gehört. Die Mineros selbst sehen dies etwas nüchterner und beschreiben ihren Arbeitsalltag so: "Wir essen die Mine, die Mine isst uns."


Fun Facts:
  • Potosí war jahrhundertelang ein Synonym für Reichtum. Im Spanischen gibt es immer noch die Redensart "vale un Potosí" für: „Es ist ein Vermögen wert.“
  • Der 'Mercado de los Mineros' gilt weltweit als der einzige öffentliche Markt, an dem man legal Dynamit kaufen kann.
  • Der spanische Versuch, schwarze Sklaven einzuführen, scheiterte an der sauerstoffarmen Höhenluft. Die meisten starben, bevor sie unter Tage eingesetzt wurden.

Checklist:
  • eine Stange Dynamit gesprengt,
  • Sprengstoff, Kokablätter und 93%igen Alkohol eingekauft
  • durch höchstgelegenste Stadt der Welt gebummelt

Donnerstag, 17. Februar 2011

Downhill auf der gefährlichsten Straße der Welt



Ich musste es tun! Vier Stunden reine Abfahrt, von 4700 Höhenmeter in den Anden auf 1100 Meter im Amazonas, welcher ehemaliger Radsportler würde sich so etwas entgehen lassen? Zugegeben, man kann darüber streiten, ob es angebracht ist, an einem Ort an dem jährlich bis zu 200 Menschen den Tod fanden, einem Freizeitsport nachzugehen. Entsprechend schwer tat ich mich mit der Entscheidung die gefährlichste Straße der Welt mit einem Downhillbike talwärts zu fahren. Doch nachdem mir zwei Tage lang von jeder Ecke in La Paz die Werbeplakate der Tourenanbieter entgegenstrahlten und wie es schien, jeder einzelne Rucksackreisende in dieser Stadt mir adrenalingeschwängert davon berichtete, welch ein Ausnahmerlebnis es war, den Ritt entlang der Kante zurückzulegen, war es um mich geschehen. Ich klapperte unzählige Straßen ab, um schließlich mit "Radical Rides" einen vertrauenswürdigen Anbieter zu finden, der meinen Vorstellungen von Seriösität, zuverlässigem Equipment und Zusatzleistungen entsprach. Das Paket für umgerechnet 40 Dollar beinhaltete ein vollgefedertes Rad, Protektoren, Regenbekleidung, Transport, zwei erfahrene Guides, Verpflegung, eine Bilder CD und zu guter letzt eines der peinlichen Finisher-Shirt.

Am nächsten morgen um 7 Uhr ging es los. Unsere 5-köpfige und angenehm beschauliche Truppe war Jenny aus Deutschland, ein engliches Päärchen, ein verrückter Japaner und meine Wenigkeit. Zunächst ging die Fahrt auf den "La Cumbre Pass", dem Ausgangspunkt für den ganzen Wahnsinn. Dort verpackten wir uns in die Kampfmontur, hatten Gelegenheit, uns während einer kleinen Probefahrt mit den Rädern, Bremsen, Gangschaltung, Reifendruck und der Sitzposition vertraut zu machen und erhielten dann eine Sicherheitseinweisung, die in Anbetracht der Gefährlichkeit der bevorstehenden Unternehmungf für meine Begriffe erstmals auch ein wenig ausführlicher hätte ausfallen dürfen.
Immerhin, die wichtigsten Informationen kamen an. So zum Beispiel, dass die "Yungas-Straße", die einzige Straße in Peru ist, auf der Linksverkehr herrscht. Der Gund: Die links sitzenden Fahrer können so auf der engen Straße bei Gegenverkehr den Fahrbahnrand besser einsehen, dessen Überquerung ansonsten fatale Folgen hätte. Wir erfuhren aber auch, dass wir nur sehr selten mit Gegenverkehr zu rechnen hätten, da die Straße seit 2003 wegen ihrer Gefährlichkeit für den normalen Verkehr gesperrt worden war. Es folgten ein paar angsteinflößende Unfallstatistiken und am Ende erwähnte der Guide beiläufig, dass im vergangenen Jahr auch zwei Mountainbiker tödliche verunglückt waren. So erreichte der Guide das, was er mit seiner kleinen Ansprache bezwecken wollte. Wir waren mit Vorsicht geimpft, hatten eine gehörige Portion Respekt im Gepäck und waren uns einig, dass wir hier kein Rennen veranstalten würden sondern es einzig darum ginge, heil und unversehrt im Amazonas anzukommen.

Jetzt war die Spannung kaum mehr auszuhalten. Wir waren geladen. In aufgepumpter Aufregung ging es um 10 Uhr endlich los. Die ersten 20 Kilometer waren noch asphaltiert und wären alleine schon den Aufwand wert gewesen, hierher zu kommen. Auf der breiten, unbefahrenen Straße ging es durch eine grandiose Felskulisse bergab. Die langen und ausladenden Kurven verlangten kein einziges Bremsmanöver und so war es ein einziges, genussvolles Hinabrauschen, bei dem man noch einmal Zeit fand, das Fahrverhalten des Rades auszutesten. Da unsere Gruppe zahlenmäßig vergleichsweise klein und homogen und daher flexibel genug war, um schneller zu sein als die vielen anderen Gruppen, erreichten wir unter den ersten die kleine Senke, von der aus es nach einem kleinen Frühstück noch einmal kurz im Bus hinaufging bis zum Start der eigentlichen "Death Road".

Ab diesem Zeitpunkt verkehrten sich die Dinge. Geschwindigkeit und Fahrvergnügen standen nicht mehr im Vordergrund sondern vielmehr Vorsicht, Umsicht und überhaupt Sicht. Ein Grund nämlich, warum die Straße so gefährlich ist, sind die hier herrschenden Wetterbedingungen. Oft sorgen Regen und Nebel für sehr geringe Sichtweiten. Matsch, Erdrutsche und Steinschläge dagegen für einen desaströsen Straßenzustand. Kombiniert man diese Umstände mit einer einspurigen Straße, die ohne Leitplanken vorbei führt an Abhängen, die teilweise senkrechter nicht sein können, kommt am Ende die "Death Road" heraus.



Auch bei uns machte das Wetter seinem Namen alle Ehre und regnete und nebelte uns derart zu, dass wir alleine schon aus diesem Grund nicht in Gefahr liefen uns zu gewagten Geschwindigkeiten hinreißen zu lassen. Und so verloren wir zwar zügig aber kontrolliert Höhenmeter um Höhenmeter, fuhren unter Sturzbächen hindurch und durchquerten sämtliche Klimazonen Südamerikas. Am Ende kamen wir alle, von oben bis unten vollgesudelt mit Dreck, aber glücklich wie Bolle und in grenzenloser Euphorie überschäumend am Ziel an. Was für ein Tag!


Fun Facts:
  • Die Nördliche Yungas-Straße wurde während des Krieges zwischen Bolivien und Paraguay (1932-35) von Gefangenen gebaut. Viele Jahre lang war sie die einzige Verbindung, die das Amazonasgebiet im Norden von Bolivien mit der in den Anden gelegenen Hauptsadt La Paz verbindete. Heute gibt es eine neue Straße und die ursprüngliche Yunga-Straße ist für den normalen Verkehr gesperrt.
  • Bis zu ihrer Sperrung im Jahre 2003 starben auf der "Death Road" jährlich zu 200 Menschen. 1994 fiel alle zwei Wochen ein Fahrzüg über den Rand. Der schlimmste Unfall in der Geschichte Boliviens ereignete sich am 24. Juli 1983, als ein Bus den Abgrund hinabstürzte und 100 Menschen mit in den Tod riss.
  • Ein typisches Bild in den Straßen von La Paz sind die unzähligen Schuhputzer, die sich vermummen mit Skimasken, um in ihrer niedrig angesehenen Arbeit anonym zu bleiben.

Checklist:
  • die gefährlichste Straße der Welt überlebt
  • drei Tage lang von einer Überdosis Adrenlin gelebt
  • in einem Hostal mit Bier-Spa übernachtet

Montag, 7. Februar 2011

Schwimmende Inseln auf dem Titicacasee



Alleine sein Name ist so klangvoll, dass ein Besuch des Titicacasees für mich fast schon obligatorisch war. Doch dies war nicht der einzige Grund. Abgesehen von der Tatsache, dass dieses höchstgelegene schiffbare Gewässer der Welt (3810 Meter ü.M.) auf dem direkten Weg zwischen Cusco und La Paz lag, meiner ersten Anlaufstation in Bolivien, war dort vor allem kulturell einiges geboten. Auf dem knapp 200 Kilometer langen See wohnen nämlich heute noch mehr als 2000 Uruindianer, die ihre kleinen Dörfer wie schon vor hunderten von Jahren auf schwimmenden Inseln errichten und darauf leben.

Der Nachtbus spülte mich morgens um 7 Uhr direkt am Ufer des Titicacasees in Puno an. Ich hatte kaum geschlafen in dieser holprigen Nacht und war erledigt. Noch immer hatte ich mit der Höhe zu kämpfen. Zudem steckte mir noch die anstrengende Kletterpartie auf Machu Piccu in den Knochen, die vermutlich ebenfalls nicht allzu förderlich war für mein körperliches Befinden in diesen Tagen. Kurz vor der Abfahrt in Cusco hatte ich mir deshalb in einer Apotheke noch ein paar Medikamente gekauft, die angeblich helfen sollten gegen Übelkeit, Nasenbluten, Kopfweh und all die anderen Wehwehchen der Höhenkrankheit. Ohne wirklich zu wissen, was in den rot-weißen Pillchen steckte, aß ich artig eines nach dem anderen auf und wartete nun auf ihre Wirkung.

Die Wartezeit auf das Boot, was mich noch am selben Morgen zu den "Islas flotandes" schippern sollte überbrückte ich mit einer herzlichen Plauderei mit einer Verkäuferin von Handarbeiten, die auf dem Marktplatz nach Kundschaft suchte. Während dieses Gesprächs wurde mir überraschend bewusst, wie viel Spanisch ich mittlerweile dazu gelernt hatte in der kurzen Zeit, die ich in Südamerika auf mich alleine gestellt war: Von null auf Smalltalk in weniger als fünf Wochen. So konnte es weitergehen.

Um 9 Uhr legte das Schiff an für das Boarding. Mir war auf den ersten Blick klar welche Art von Veranstaltung dies werden würde. Denn offensichtlich lag der Titicacasee nicht nur für mich praktisch auf der Reiseroute gelegen, sondern auch für viele andere, namentlich vor allem japanische Pauschaltouristen, in deren Mitte ich mich plötzlich wiederfand. Die Fahrt begann mit einem nervtötenden Panflötenintro und der peinlichen Ansprache des "Tour Guides". Übermüdet ließ ich beides über mich ergehen. Doch spätestens als mir jemand versuchte eine Schwimmweste umzulegen, sträubte sich alles in mir. Dies konnte ich beim besten Willen nicht ertragen. Nicht auf diesem Boot. Nicht auf diesem topfebenen Teich. Nicht nach allem was ich fünf Tage lang auf hoher See zwischen Panama und Kolumbien erlebt hatte. Ich lehnte dankend ab und versuchte mich aufs Deck zu verkrümeln. Dies wurde mir aber prompt verwehrt - aus Sicherheitsgründen sei dort nur Platz für sechs Seelen. Ich beherrschte und überredete mich, dass die einzige Möglichkeit, diesen Morgen halbwegs genießen zu können darin bestünde, mich in mein Touristenschicksal zu fügen.

Der Plan ging auf. Wir kamen auf den Inseln an, wurden dort mit einem beschwingt fröhlichen Singsang von buntgekleideten Uruindianern empfangen und über die Insel geführt. Ich spielte das heitere Spielchen mit, kaufte mich sogar für ein paar peruanische Sol auf der 10-minütigen Zusatzrundfahrt auf einem der urtümlichen Schilfboote ein und nach einer Weile genoss ich es regelrecht, einmal völlig ungeniert mit meiner großen Kamera um den Hals bewaffnet herumzurennen und die Umgebung abzuschießen. Auch die Erklärungen unseres Tour-Guides wurden zunehmend spannender. Wir erfuhren wie das Wurzelwerk des Totora-Schilfs die schwimmende Basis für die Inseln darstellte. Überhaupt sei das Schilf die wichtigste Lebensgrundlage für die Uro-Indianer. Aus ihm würden die Boote für den Fischfang konstruiert und auch die einfachen Hütten bestünden daraus. Selbst in der Ernährung spiele das Schilf eine maßgebliche Rolle. Am Ende war der Besuch auf den schwimmenden Inseln trotz seines touristischen Charakters ein lohnenswertes Unterfangen. Und bei den wenig möglichen Einblicken hinter die Kulissen konnte man wage erahnen, wie das Leben weiter draußen auf dem See abläuft und welch großartige Gemeinschaft der indogenen Bewohner dahinter steckt. Zum Abschluss gab es noch den Titicaca Touristen Stempel in den Reisepass und fertig war die Tour.

Fun Facts:
  • Der ursprüngliche Grund für den Bau der "Islas flotandes" war der Schutz vor kriegerischen Inkas.
  • Der Namen des Titicacasees besteht aus zwei Wörtern der Quechua und Aymara Sprache: titi heißt „Große Katze“ oder „Puma“ und kaka heißt „grau“. Eine liegende Katze ist zu erkennen, wenn die Landkarte mit dem See auf den Kopf gestellt wird.

Checklist:
  • über schwimmende Inseln gelaufen
  • Im Schilfboot auf dem höchst gelegenen See der Welt gefahren

Samstag, 29. Januar 2011

Gipfelsturm auf Machu Picchu



Die letzten Meter waren noch einmal ein Kraftakt. Ich schnappte kurzatmig nach der dünnen Luft und war Völlig erschöpft. Sechs beschwerliche und hochpulsige Kilometer lagen hinter uns, vom Fuße des Machu Picchu bis nach oben, eine Strecke, die fast ausschließlich aus Treppen bestand. In den Reiseführern hieß es, man brauche dafür eineinhalb Stunden. Doch der Blick auf die Uhr verriet, dass wir die 400 Höhenmeter in unter 40 Minuten förmlich hochgerannt waren. Diese Eile hatte seinen guten Grund:

Machu Picchu war der erklärte Höhepunkt meiner Reise und schon seit Tagen machte ich mir bange Gedanken, ob auch alles klappen würde. Der Besuch, dieses einzigartigen Ortes ist nämlich gar nicht so trivial, wie man es in Anbetracht seiner Bekanntheit annehmen würde. Obwohl es überhaupt nicht meinen üblichen Reisegepflogenheiten entspricht, begann ich mit den konkreten Vorbereitungen bereits Tage zuvor in Lima. Denn mein größtes Problem war der Zeitdruck. Langsam wurde es absehbar, dass die Tage des "Roadtrip Panamericana" kürzer würden, die zurückzulegende Distanz bis nach Feuerland aber immer noch unglaublich lange. Ich wollte also keine Zeit verlieren und buchte bereits in der Hauptstadt einen der begrenzten Sitzplätze für den Zug von Cuzco nach Aguas Calientes, dem kleinen Örtchen am Fuße des Machu Picchu. Der Zug ist die einzige Möglichkeit, um dorthin zu gelangen, wenn man nicht eine umständliche und vor allem sehr zeitintensive Kombination aus Bus- und Taxifahrten und langen Fußmärschen auf sich nehmen will. Letztere Variante hätte ich zwar vorgezogen, doch wie gesagt, dafür war mein Kontingent an verbleibenden Reisetagen einfach nicht mehr ausreichend bestückt. Ich hatte keine andere Wahl und kaufte das absurd teuere Zugticket für US$ 105 Roundtrip.

Immerhin, die erste Hürde war genommen und mit dem touristischen Bummelbähnchen, das durch eine grandiose Landschaft tuckerte, kam ich den Sonnengöttern wieder ein Stück näher. Die Nacht vor dem großen Tag verbrachte ich unruhig in einer kleinen, überteuerten Herberge in Aguas Calientes und aß dort ein überteuertes Abendessen bevor ich schließlich die ebenfalls überteuerte Eintrittskarte für den nächsten Tag kaufte.

Dieser begann um 3:30 Uhr in der Früh, als mich mein Wecker für die "Mission Huayna Picchu" aufläutete. Huayna Picchu ist der Berg, den man kennt, weil er auf jeder Postkarte abgebildet ist. Es ist nämlich der Berg, der hinter den Ruinen zuckerhutförmig emporragt und die grandiose Kulisse liefert für diesen majestätischen Ort. Dummerweise können ihn jedoch täglich nur 400 Menschen besteigen und wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Zwei Möglichkeiten: man gesellt sich morgens zu den Heerscharen von Touristen, von denen jeder versucht, ab 5:30 Uhr einen der ersten Busse zu erwischen, oder man gesellt sich zu den 200 Backpackern, die den Weg zu Fuß in Angriff nehmen, in der Hoffnung schneller zu sein als die Busse. Ich tat letzteres. Die ganze Aktion erinnerte mich ein wenig an meine Rennfahrerzeiten im Radsport: Ein Pulk, ein Startschuss, ein Ausscheidungsrennen. Wie die Bekloppten rannten alle los, als endlich um 4.45 Uhr die Brücke über den reißenden Fluss geöffnet wurde, die den Weg nach oben ermöglichte. Ich ging das Tempo mit und schraubte den Berg hinauf, während mein Herz raste und die Beine immer schwerer wurden. Doch die Radsportkilometer machten sich mit zunehmender Dauer des Anstiegs bezahlt und schließlich kam ich kurz nach der Spitzengruppe, die wie sich später herausstellte allesamt aktive Leistungsportler waren, als sechster oben an.



Es war ein atemberaubender Moment, als einer der ersten an diesem Morgen diesen sagenhaften Ort zu betreten. Die Sonne ging gerade hinter mir auf, als ich inne hielt und mir vorstellte, wie hier vor hunderten von Jahren die Menschen, ihre Stadt errichteten und darin lebten. Mir ging ein kalter Schauer den Rücken runter. Noch eine ganze Weile lang lag ein wunderschöner Friede und meine Andacht über Machu Picchu, bevor sich das Areal langsam mit Menschen füllte.

Sich gleichzeitig winzig klein und großartig zu fühlen. Dieses Gefühl beschlich mich, als ich eine Stunde später mit wackeligen Knien den Gipfel von Huayna Picchu erreichte. Die Aussicht von dort oben auf die umliegenden Berge, Schluchten und Täler und der Blick auf die unterhalb liegenden Ruinen waren gigantisch. Ich lauschte meiner Reisemusik und ließ mich ergreifen von einer dieser melancholischen Stimmungen, die ich nur vom Reisen her kenne. Ich bewunderte die Erhabenheit dieser Welt und machte mir bewusst, welch ein Privileg es ist, solche Momente erleben zu dürfen. Eine tiefe Dankbarkeit machte sich in mir breit, dafür dass ich die Sehnsucht nach der Fremde und dem Abenteuer von klein auf in die Wiege gelegt bekommen habe und von zuhause aus stets ermutigt wurde, solche Unternehmungen anzugehen. In diesem Augenblick fühlte ich mich meinen Eltern ganz nah.

Fun Facts:
  • Das um 1450 erbaute Machu Picchu konnte in seiner Blütezeit bis zu 1.000 Menschen beherbergen und versorgen.
  • Täglich besuchen durchschnittlich 2.000 Personen die Sehenswürdigkeit.
  • Machu Picchu bedeutet übersetzt "alter Gipfel", Huayna Picchu "junger Gipfel."

Checklist:
  • bei  Sonnenaufgang Machu Picchu erklommen

Mittwoch, 26. Januar 2011

Die Luft wird dünn



Vom Meeresspiegel auf 3500 Meter, so lässt sich in wenigen Worten meine jüngste Busfahrt von Lima nach Cusco zusammenfassen. Doch mit dieser Sparsamkeit wäre dem Husarenritt nicht Recht getan, denn dazu war er eindeutig zu lange. Genauer gesagt 23 Stunden voller Leiden. Was war passiert? Das grundlegende Problem war, dass ich keinen der komfortablen Liegesitze mehr ergattern konnte. Dies wiederum bedeutete, dass ich die Fahrt in guter alter Schulbusbequemlichkeit erleben durfte. Allerdings kamen noch einige spezielle Umstände hinzu, die ich so aus meinen Schulbuszeiten nicht unbedingt kannte.  Zunächst war da mein verschnupfter und kommunikationsarmer Sitznachbar, der es zustande brachte, über die Fahrt verteilt eine komplette Rolle Klopapier vollzurotzen. Genau hinter mir saß ein Frau mit Baby, welches nicht daran sparte seinem Unmut über diese Reise in Form von breitem Geplärr Ausdruck zu verschaffen. Die beiden älteren Damen links von mir bemühten dagegen im Dauereinsatz ihre Kotztüten. An Schlaf war aufgrund des Kurvenreichtums auch nicht zu denken und schon gar nicht nachdem sich bei mir die ersten Erscheinungen von Höhenkrankheit breit machten: Kopfweh, Nasenbluten, Übelkeit, Atemnot, um nur einige zu nennen.
Besonders unterhaltsam war die Klosituation. "Solo Urinario" war stets das erste, was uns der Busstewart in seinen 25 Ansprachen einzubläuen wusste. Musste jemand ein größeres Geschäft verrichten, so teilte er dies dem Stewart mit, welcher daraufhin veranlasste, dass der Bus mitten in der Botanik zum Stillstand kam. Zwei Minuten später saßen dann die Weiblein ganz artig links vom Bus und die Männlein artig rechts vom Bus in der Hocke und gaben ihrer Notdurft Freilauf. Ein Bild für Götter. Jedenfalls besser als jedes einzelne Bild, der sechs gezeigten Spielfilme an Bord, die allesamt aus einer Zeit stammten, in der ich noch nicht von dieser Welt war. Doch selbst 23 Stunden gehen irgendwann zu Ende und so kam auch dieser Bus am frühen Abend in Cuzco an.

Hätte ich nicht derart mit der Höhe kämpfen müssen, wäre mir diese beschauliche Stadt sicherlich noch besser in Erinnerung geblieben, als sie es ohnehin schon tat. Denn hinter jeder Ecke erwartete einen hier ein neues hübsches Plätzlein, eine kleine Kirche, ein schmuckes Gässchen. In den Märkten hatte man gar keine andere Wahl als sich der ansteckenden und bunten Turbulenz hinzugeben und mit der geschäftigen Masse zu gehen. Im Zentrum des Geschehens dann der atmosphärenreiche "Placa de las Armas", der wunderschön am Fuß eines Hanges gelegen war und in seiner Mitte voller stolz seinen großen Springbrunnen präsentierte. Gut und gerne hätte ich hier noch den ein oder anderen Tag verweilen können, doch es ging nicht. Denn wie für viele andere, war Cuzco auch für mich vor allem eines, das Sprungbrett für einen der grandiosesten Höhepunkte dieser Reise: Machu Piccu. Bereits am nächsten Morgen wollte ich in die unmittelbare Nähe dieses sagenumwobenen Ortes gelangen. Ich war aufgeregt!

Fun Facts:
  • Cuzco bedeutet in der Quechua Sprache "Nabel der Welt."
Checklist:
  • Höhenkrank

Sonntag, 23. Januar 2011

Wasserspiele an der Steilküste



"If you are not having fun, you're fired." Diese einladenden Worte standen auf der modifizierten, lebensgroßen Pappfigur, die einen der Hostelbesitzer auf einer Reklame zeigte (er war in seinem ersten Leben ein Model). Der Spruch war Programm und das "Cirque Hostel" in Lima mit Abstand das lässigste Hostel, in dem ich jemals untergebracht war. Die drei Typen, denen das Hostel gehörte waren über alle Maße enthusiastisch und hatten eine unglaublich ansteckende Freude an ihrem Treffpunkt der Welt. Von Minute eins an herrschte hier eine familiäre Stimmung, die ich sonst noch nirgends zuvor gesehen hatte. Es war wie in einer großen WG. Jeden Tag gab es Aktionen, Ausflüge und Abenteuer, die allen Gästen gratis offen standen. Und es schien beinahe, als ob die Besitzer selbst am meisten Spaß an ihren Angeboten hatten. Zumindest waren sie immer mit Herzblut dabei: angefangen vom Besuch der Delphinschule, über die legendären Grill-, Gitarren-, Club- und Partynächte bis hin zu den sonnigen Surfausflügen an die nahen Strände. 100% Lima.

Mir hatte es vor allem der Auflug in den Wasserpark angetan. Mit dem halben Hostel ging es in dieser Nacht in den "Parque de la Reserva" und ich bereute es keine Sekunde, mitgekommen zu sein. Denn was sich dort abspielte war wieder einmal kaum in Worte zu fassen. Ich werde gar nicht erst den Versuch wagen, die riesigen, faszinierenden und perfekten Choreografien aus Licht und Wasser zu beschreiben, denn es würde nicht einmal annähernd an das herankommen, was man sieht, wenn man leibhaftig durch diesen Park läuft. Von allen Seiten her spritzt, funkelt, plätschert und leuchtet es. Mal breit, mal hoch, mal gedämpft, mal hell - doch jedes mal fantastisch. Zu meinen perönlichen Höhenpunkten gehörte auf alle Fälle der feuerrote Wassertunnel, durch den ich mehrmals in Staunen und Begeisterung hindurchlief. Es war ein großartiger Abend, der in einer ausgiebigen Grillade auf der Hostelterasse mit anschließendem Gitarrenspiel und kollektivem Singsang bei reichlich Cuba Libre und Pisco Sour sein rühmliches Ende fand.

Da meine Reiseroute es vorsah, nach Lima wieder in die Berge abzubiegen, war neben der Feierei für mich vor allem das Surfen hier noch einmal ganz groß geschrieben. Jeden Tag lief ich zwei mal komplett in Neoprenanzug gekleidet und mit meinem Brettchen unterm Arm gute 20 Minuten durch die Straßen von Miraflores, bis ich schließlich an der Steilküste dieses schönen Stadtteils die Treppen nach unten zu den Wellen nehmen konnte. Es war schlicht und ergreifend eine Genugtuung, mit den Wellen im Gesicht von ganz weit draußen, zurück auf die Fassade der Stadt zu blicken. Vor allem die Abendkulisse bot ein großartiges Bild, als die Paraglider die guten thermischen Voraussetzungen für ihre Feierabendflüge nutzten und zwischen Küste und Strand hin- und hergleiteten. Am letzten Tag kam zum Abschied noch ein 8-Fuß mächtige Brandung rein und nicht nur einmal vermöbelte mich der Pazifik in seinem Vollwaschgang. Doch ich blieb hartnäckig und paddelte immer wieder gegen die Walzen an, bis ich zum guten Ende mit einer gigantischen Welle beschenkt wurde. Ich konnte nun voller Zufriedenheit zurück in die Anden kehren.


Fun Facts:
  • Der "Parque de la Reserva" ist derzeit der Rekordhalter für den größten Wasserfontänenkomplex der Welt. Der Park wurde 2007 eröffnet und kostete die stolze Summe von US$ 13 Millionen. Die größte Fontäne ("Fuente Mágica") wird mit Hilfe einer Düse über 80 Meter hochgeschleudert.

Checklist:
  • durch Wassertunnel gelaufen
  • im geilsten Hostel der Welt übernachtet

Donnerstag, 20. Januar 2011

Die langen Linken



Surfen und Sandruinen, das waren die großen Themen in Nordperu. Der Pazifik hatte mich wieder und ich konnte es nicht erwarten, in die Wellen zu hopsen. Der erste Stop nach meinem Sprung über die umständliche peruanische Grenze (die Immigrationsbüros auf beiden Seiten der Grenze liegen jeweils 4km außerhalb der eigentlichen Grenzorte) hieß Mancora und war offensichtlich die Anlaufstation für alle partytüchtigen Sonnenanbeter Südamerikas. Der Ort war völlig überlaufen mit Touristen und wird sich in meiner Erinnerung vor allem als ein sehr lauter Ort einprägen. Da es kaum mehr freie Betten gab, musste ich ein Mehrbettzimmer direkt neben den Verstärkerboxen der hosteleigenen Partybar beziehen und so verbrachte ich eine weitere Nacht mit vernichtetem Schlaf. Die einzige Welle des hießigen Strandes war leider auch überfüllt mit einer Mischung aus Surfanfängern und eher aggressiven einheimischen Profisurfern. Ich hatte hier wenig Spaß und beschloss mich schnellst möglich wieder aus dem Staub zu machen.

Mein achstündiger Nachtbus nach Süden war Reisen in einer neuen Dimension. Da ich dringend Schlaf nötig hatte, kaufte ich das teuere Ticket für die auf dieser Reise erstmalig angebotenen "180 Grad Cama" Sitze. Es war das Paradies auf Rädern. Ich hatte meinen eigenen, riesenfetten Ledersessel, der sich in der Tat nahezu waagrecht verbiegen ließ. Dazu gab es Decken, Kopfkissen, ein Begrüßungssnack und Getränke. Auch die Sicherheitsvorkehrungen nahmen bislang ungeahnte Ausmaße an. Jeder Passagier musste vor dem Besteigen des Ortes zunächst einmal seinen Fingerabdruck hinterlegen und wurde kurz vor Abfahrt zusätzlich noch abfotografiert. Ich fühlte mich sicher.


"Huanchaco" hieß das Ziel dieser bequemsten Busfahrt aller Zeiten, und war eine Empfehlung, die auf meine Bedürfnisse passen sollte - ein entspannter Küstenort mit großen Wellen. Und so war es auch. Wer nach konsitenten, großen und ewig langen, linken Wellen sucht und diese nahezu für sich alleine haben will, der sollte hierher kommen. Auch wenn der Surf morgens etwas unheimlich war (der Nebel war teilweise so dicht, dass ich hinter den Wellen sitzend nicht einmal mehr das Ufer sehen konnte) kann man hier praktisch zwei Kilometer lang, vom einen Ende der Stadt ans andere gelangen, indem man nacheinander die langen und fast auschließlich nach links wegbrechenden Wellen reitet. Ein Traum!

Auch meine Unterkunft hätte besser nicht sein können. Drei Schwedinnen haben das "Lily Surf Hostel" vor knapp 6 Monaten eröffnet und sich viel Mühe damit gegeben, den Ort so gemütlich und familiär wie möglich zu gestalten. Eine der drei Blondinen ist außerdem verheiratet mit dem besten Surfbrett Shaper der Gegend, der wiederum seine genialen und schönen Bretter im Hostel zum Verleih anbot. Ich hatte nun also noch einmal Gelegenheit alle möglichen und unterschiedlichen Surfbretter auszuprobieren und glaube nun auch zu wissen, welche Maße mir am Besten liegen. Es genügt jezt nur noch eine e-mail, und ein paar Wochen später wird in Deutschland ein auf mich maßgeschneidertes Surfbrett ankommen. Mal sehen, ob ich es mir leisten kann nach dieser Reise!

Unweit von Huanchaco entfernt lagen als perfekte Halbtagesziele die großen Sandruinen von Chan-Chan, die seit 1986 um Unesco Weltkulurerbe gehören. Chan Chan entstand um 1300 und war wahrscheinlich die größte Stadt der damaligen Zeit auf dem südamerikanischen Kontinent und eine der größten der Welt, die aus Lehm errichtet wurde. Bevor die vermögende Stadt von den Inkas erobert wurde wohnten dort etwa 60.000 Einwohner. Noch heute ist da Areal knapp 30 km² groß und ein Teil davon zugänglich für Touristen. Es war ein geheimnisvoller Ort, dessen mystische und unwirkliche Atmosphäre zudem verstärkt wurde durch den dichten Nebel und die beißenden Rauchschwaden, die sich während meines Besuches überall in den Ruinen niederschlugen.

Am folgenden Tag, ereignete sich noch ein dummer Zwischenfall. Der Bankautomat war hungrig und verschlang meine Kreditkarte. Dies wiederrum verschlang einen halben Tag meiner Zeit mit Behördengängen, Telefonaten und Kartensperrung. Glücklicherweise hatte ich noch zwei Maestro Ersatzkarten dabei, die mich hoffentlich weiterhin flüssig halten werden. Nach dieser ganzen Aufregung war ich jedenfalls auch reif für Flüssiges und verpasste dem Tag mit einem gepflegten 5-Fuß Sunsetsurf doch noch ein positives und erfüllendes Ende.

Fun Facts:
  • Während das Wasser in Mancora noch angenehm und warm ist, ist der Pazifik im acht Stunden südlich gelegenen Huanchaco bereits so kalt, dass man zum Surfen einen dicken Neoprenanzug benötigt.
  • In Huanchaco allgegenwärtig sind die "Caballitos de Totora" („Schilf-Pferdchen“), kleine Schilfboote, die seit Tausenden von Jahren auf dem Meer zum Fischen verwendet werden. Heute werden damit auch Touristen für eine Rutschpartie auf den Wellen ausgeführt.

Checklist:
  • Kreditkarte verloren
  • durch die größten Lehmruinen der Welt gelaufen (und gehustet)
  • nach links gesurft

Mittwoch, 19. Januar 2011

Heimatstimmung in den Anden



"44 Schwerverletzte bei Busunglück in Peru." Nur selten habe ich solchen oder ähnlichen Schlagzeilen, die im Auslandsteil deutscher Tageszeitung häufig als Lückenfüller dienen viel Beachtung geschenkt. Während meiner fünfstündigen Busfahrt von Cuenca an die peruanische Grenze wurde mir allerdings klar, woher der Stoff für derartige Berichte kommt. Der Steuermann meiner Todesschaukel war ein geschätzt 19-jähriger Rambo, der es mit der Gemütlichkeit nicht weit her hatte. Mit einem Fuß aus Blei prügelte er den senilen Bus talwärts und innerhalb von nur 90 Minuten legten wir 2500 Höhenmeter zurück. Zwischendurch gab es ein paar langsamere aber umso absurdere Passagen, die auf einer zerbröselten Schotterpiste direkt am Rande von übertriebenen Abgründen entlang führten. Ich versuchte mich abzulenken, indem ich meinen Fokus auf die grandiose Landschaft richtete und war selten so froh aus einem Bus auszusteigen, wie nach diesem Ritt.



In Cuenca, dem Ausgangsort dieser Talfahrt, verbrachte ich drei Tage, ungewöhnlich lange für eine Stadt dieser Größe. Doch vielleicht lag es auch gerade an dieser Beschaulichkeit, dass ich den Gang hier ein wenig runterfuhr. Cuenca vermittelte mir jedenfalls ein Gefühl von Vertrautheit, denn es erinnerte mich stark an meine Heimatstadt Freiburg. Pflastersteine, Studenten, schöne Plätze, runderum Berge und Grünflächen, Märkte, geschäftige und sporttreibende Menschen und zu guter letzt die Dreisam, die hier allerdings "Tomebamba" heißt, aber ebenfalls mitten durch die Stadt fließt. Dort hielt ich um die Mittagszeit meist ein kleines Nickerchen, bevor täglich und pünktlich um 16 Uhr der Regen einsetzte. Das war dann die Zeit, wo ich mein Lieblingscafé aufsuchte und mich bei einer guten Tasse der Schreiberei und meinen Fotos widmete. Aber auch kulturell hatte die Stadt einiges zu bieten. Es ist nicht besonders rühmlich, aber abgesehen von der Tanzaufführung der Universtiät, an die ich zufällig hinstolperte, habe ich hier meinen ersten richtigen Museumsbesuch dieser Reise vollzogen. Alles in allem waren es sehr entspannte Tage bei angenehmen Temperaturen und ich genoss es hier zu sein.

Fun Facts:

  • Ein integraler Bestandteil des Stadtbildes von Cuenca sind die ecuadorianischen Frauen mit ihren traditionellen Hüten, die mit Schubkärren voller Kirschen durch die Straßen ziehen und ihre Ware anbieten und dabei in unzählbaren Wiederholungen das Wort "cerezas" (Kirschen) ausrufen.
  • Genauso zum Stadtbild gehören die kleinen Supermärktchen, die allesamt mit völlig übertriebenen Absperrgittern versehen sind und das Einkaufen alles andere als einladend machen.

Checklist:
  • Risikobusfahrt heil überstanden

Dienstag, 18. Januar 2011

Die Mitte der Welt



Zum Mittelpunkt der Erde, das war das erklärte Tagesziel. Ich machte mich früh auf die Socken, denn es lag eine ordentliche Etappe vor mir, die mich am Ende des Tages in sechs verschiedenen Fahrzeugen, über eine Grenze und über einen Äquator bis in die Hauptstadt Ecuadors führen sollte. Unterwegs nahm ich allerdings noch einen kleinen Umweg in Kauf, um ein wahrliches, architektonisches Glanzstück zu bewundern. Denn einen spektakuläreren Ort für den Bau einer Kirche kann man sich kaum vorstellen, als den für die gothische Kirche "Santuario de Las Lajas" in der Nähe der kolumbianischen Grenze. Diese thront nämlich direkt auf einer kleinen Brücke, über dem Abgrund einer tiefen Schlucht durch die sich ein kleiner Fluss windet. Aus der Ferne wirkt die Kirche, als rage sie aus dem Fels heraus, und sei ein Teil von ihm. Ich gönnte mir ein gutes Stündchen dieses wirklich sensationellen Anblickes, bevor ich mich mit Sack und Pack durch die Heerscharen von Feiertagstouristen zurückwühlte und versuchte, mir ein Taxi zur Grenze zu erkämpfen.

Müde und erschlagen kam ich nachts in Quito an und war froh, als ich eine Herberge gefunden und eine warmes Bett hatte. Doch die Nacht war unruhig. Ich hatte Mühe mit der dünnen Luft hier oben auf knapp 3000 Metern, hatte Kopfweh und war knapp bei Atem. Doch diese Umstände hielten mich nicht davon ab, gemeinsem mit Lukas, einem sehr angehmen Reisekomillitonen aus Oberammergau, am nächsten Morgen zum knapp 30 Kilometer entfernten "Mitad del Mundo", dem Mittelpunkt der Erde zu fahren. Hier treffen sowohl der nullte Breitengrad, als auch der nullte Längengrad aufeinander. Wir dachten uns, wenn man schon hier ist, kann es ja nicht schaden, mal auf dem Äquator zu balancieren. Mit ausgestreckten Armen und geschlossenen Augen ist letzteres übrigens gar nicht so einfach. Selbst als geübter Slackliner hatte ich meine liebe Mühe auf der Linie zu bleiben. Der Grund dafür sind die unterschiedlichen Corioliskräfte, die links und rechts vom Äquator an den Armen ziehen und es einem schier unmöglich machen, im Gleichgewicht zu bleiben.

Das Balancieren auf dem Äquator war nur eines von vielen unterhaltsamen Experimenten, die man dort ausüben konnte. So zum Beispiel, das Aufstellen eines rohen Eis auf einen Nagel, das hier aufgrund der geringeren Erdanziehung viel einfacher gelingt als zuhause. Der Klassiker unter den Äquatorversuchen war die Nummer mit der Wasserwanne. Stellte man diese zwei Meter auf die nördliche Hemisphäre und zog den Stöpsel, so drehte sich das abfließende Wasser links herum. Auf der Südhemisphäre dagegen rechts herum. Stellte man die Wanne direkt auf den Äquator so schoss das Wasser direkt nach unten durch, ohne sich zu dabei drehen. Mit diesen beeindruckenden Erkenntnissen im Gepäck, ließen wir den Tag in der schönen Altstadt ausklingen, schauten den fulminant gefeierten Straßenkünstlern zu und inhalierten förmlich den leckeren Kuchen, den es hierzugegen in den Cafés im Angebot gab.

Fun Facts:

  • Quitto ist lang: Das Stadtgebiet ist aufgrund des schmalen Tals nur in wenigen Bereichen breiter als zwei bis drei Kilometer dafür aber in seiner Nord-Süd-Richtung mehr als 30 Kilometer lang.

Checklist
  • zwischen den Hemisphären hin- und hergesprungen
  • Auf dem Äquator balanciert

Sonntag, 16. Januar 2011

Neujahrskrieg



"Wir empfehlen dringlich, diese Route nicht nachts zu bereisen, da Busüberfälle keine Seltenheit sind!" Der Reisehinweis am schwarzen Brett meines Hostels war zugegebenermaßen etwas beunruhigend. Ich befolgte ihn und nahm die Strecke durchs Grenzgebiet der kolumbianischen Anden tagsüber in Angriff. Schließlich will man das Unglück nicht heraufbeschwören in einem Gebiet, welches nach wie vor von Guerillatruppen und der Regierungsarmee umkämpft ist. Es wäre aber ohnehin ein Unding gewesen, diese spektakuläre Landschaft nicht bei Tageslicht zu sehen. Die 8-stündige Fahrt, die auschließlich aus Kurven bestand, schlängelte sich durch grandiose Schluchten und eine faszinierende und aussichtsreiche Bergwelt der Anden. Viele der kolumbianischen Mitreisenden konnten meine Begeisterung allerdings nur bedingt teilen. Sie hatten nämlich noch keine 10000 Kilometer Busfahrten und stürmische Bootstouren hinter sich, waren also nicht ganz so kurvenresistent wie ich und verbrachten daher einen beachtlichen Teil der Reisezeit kopfüber in den kleinen schwarzen Brechtüten, die der Busfahrer bereit hielt.

Angekommen in Pasto, bezog ich ein ungewohnt großzügiges Hostelzimmer. Zwei Doppelbetten für mich alleine, heiße Duschen und zu meiner Freude gehörte sogar ein Satelitten Fernseher zur Ausstattung. Dieser servierte mir bis spät in die Nacht den guten alten "Titanic" Schinken - auf Englisch!

Der letzte Dezembertag startete furios. Ich war unterwegs, um mir ein herzhaftes Früstück zu organisieren, als ich mich plötzlich und zu dieser Jahreszeit ungewohnt inmitten eines Karnevalumzugs wiederfand. Die drei Unterschiede zum Karneval zuhause: 1. Die großen Umzugswägen werden nicht von Traktoren sondern von Menschen gezogen bzw. geschoben. 2. Die Zuschauer besprühen sich mit Schaum anstatt mit Konfetti. 3. Um 15 Uhr sind die meisten Besucher noch immer nüchtern.

Der Umzug war ein hervorragender Auftakt zu dem bevorstehenden Sprung ins neue Jahr. Die gute Nachricht war, dass ich heute Silvester gleich zwei mal feiern durfte. Die erste Feier begann um 17 Uhr mit einer Live Schaltung per Skype. Svenja hatte extra ihren Laptop zu der Partygesellschaft mitgebracht, die in Freiburg die letzten Stunden des alten Jahr feuerte. Ich war vorbereitet und hatte mir ein Six-Pack Bier gekauft, um nicht auf dem trockenen zu sitzen, während zuhause feuchtfröhlich angeprostet wurde. Es war großartig und ich war unheimlich glücklich, alle meine Freunde zu sehen und hautnah dabei sein zu können wie in Freiburg 2010 verabschiedet und 2011 willkommen geheißen wurde. Als es so weit war wurde der Laptop mit meiner digitalen Anwesenheit unter allen Partygästen herumgereicht und ich konnte jedem persönlich ein gutes neues Jahr wünschen. 9558 Kilometer weit entfernt und trotzdem mitten drin und voll dabei. Ein schöneres erstes Silvester hätte ich mir an diesem Tag nicht vorstellen können.

Das zweite Silvesterfest hätte ich beinahe verpasst. Denn hier schoss und sprühte das gewaltige Feuerwerk bereits um 23 Uhr über den nächtlichen Andenhimmel. Doch die Aufregung war umsonst, denn das Feuerwek sollte nur das Vorspiel sein für den eigentlichen Höhepunkt hierzulande: "La Quema de Muñecos" - das Verbrennen der Puppen. Schon Tage zuvor werden überall die lebensgroßen Puppen zum Verkauf angeboten und in den wildesten Kostümen zur Schau gestellt. Kurz vor Mitternacht schleppen die Eigentümer ihre Puppen dann vor die Haustür, stopfen reichlich Silvesterböller in ihre Körper, überschütten sie mit Benzin und setzen sie in Brand.



Die ersten "Kremationen" verfolgte ich von meinem Zimmerfenster aus und war erstaunt, wie feuergewaltig das Spektakel war und vor allem wie unfassbar laut die Detonationen der Böller durch die Gassen krachten. Irgendwann machte ich mich selbst auf ins Geschehen. Auf den Straßen herrschten kriegsähnliche Zustände. Sirenengehäul und überall loderten, fackelten und explodierten die Feuerhaufen. Die Straßen lagen in Flammen. Besonders ungeheuerlich und fast schon zu real empfand ich den Anblick der Puppenhände und -füße, die teilweise seitlich aus den Feuern herausragten. Das alles war wie ein unwirklicher Spuk der genauso schnell wieder vorbei war, wie er gekommen war. Denn gegen halb eins hatte es sich ausgebrannt und die Straßen waren im wahrsten Sinne des Wortes wie leergefegt. Was blieb war Asche und Rauch. Ich blieb nicht und machte mich zurück ins Hostel, wo ich zum Ausklang eines ereignisreichen Jahres und in gespannter Vorfreude auf ein ebenso ereignisreiches neues Jahr ein letztes Bier trank.


Fun Facts:
  • Der Tradition nach stecken die Menschen kleine Zettel in die Hosentaschen der Muñecos, auf denen steht, was man alles im alten Jahr bereut hat. Diese Zettel gehen dann mitsamt den Puppen in Flammen auf und auf diese Weise wird das alte Jahr verabschiedet und Platz gemacht für das neue.
  • Überall in den Einkaufsstraßen stehen Leute mit Neonwesten und einem Stall voller Handys in der Hand. Von ihnen kann man dann Telefonminuten in die unterschiedlichen Anbieternetze zum Einheitspreise von 500 pesos pro Minute abkaufen.
  • vor jedem Shop steht ein Typ mit Lautsprecher und Verstärker und promoted lautstark seine aktuellen Angebote. Der Geräuschpegel in der Einkaufsstraße ist entsprechend unerträglich.

Checkliste:
  • an einem Tag zwei Mal Neujahr gefeiert
  • durchs Flammenmeer gelaufen

Mittwoch, 12. Januar 2011

Wachspalmen und Wolkenwälder



Eine achtstündige Busfahrt mit Durchfall? Dies entsprach nicht ganz meinen Vorstellungen von dem bevorstehenden Aufbruch in die kolumbianischen Anden. Ich beschloss, mich auf keine Experimente einzulassen und besorgte mir morgens noch schnell eine Packung Immodium. Gut abgedichtet ging es dann los auf die kurvigen 2800 Meter Höhendifferenz, die sich der Bus den Tag über hinaufschleppte. Mein Tagesziel war Salento, ein kleines, beschauliches Kolonialstädtchen fernab jeder Hektik von Großstädten. Es war genau das was ich gesucht hatte nach all der Rastlosigkeit der letzten Tage, ja gar Wochen. Das Glück war mir hold und das "Plantation House" Hostel, in das ich mich einnistete hätte gemütlicher nicht sein können. Das Beste war der Aufenthaltsraum, der genau genommen so etwas wie eine kleine urige Almhütte war, komplett aus Holz gebaut und mit einem großen Kaminfeuer, welches in dieser Höhe für die nötige Wärme sorgte.

Eine erstklassig durchgeschlafene Nacht später machte ich mich auf den Weg in das 11 Kilometer entfernte Corcora Tal. Ich wusste bereits aus Erzählungen, dass mich dort eine außergewöhnliche Landschaft erwarten würde. Und in der Tat wurde mir nicht zu viel versprochen. So in etwa stellte ich mir das Auenland der Hobbits aus Tolkiens "Herr der Ringe" vor. Schon bei der Anfahrt in dem Geländejeep strahlten immer wieder die saftig grünen Wiesen durch, die in höheren Lagen durch mystisch verhangenen Wolkenwälder abgelöst wurden und überall dazwischen streckten die himmelhochragenden Wachspalmen ihre mageren Büschel in die Höhe. Letztere sind auf jeden Fall die Stars dieser Gegend. Nirgendwo sonst auf der Welt findet sich eine derart große Anhäufung dieser einzigartigen Palme, die teilweise bis zu 60 Meter hoch werden kann.

Es war die perfekte Landschaft für eine ausgiebige Tageswanderung, die mich über waghalsige Baum- und Hängebrücken, durch Schluchten, Berge und Täler führte. Der 8-stündige Marsch war durchaus sehr anspruchsvoll, was vor allem daher rührte, dass der Untergrund durch die vielen Regenfälle aufgeweicht war und ich nicht selten bis zu den Knöcheln im Schlamm versank. Vor allem die schmierigen Kletterpassagen und Flußüberquerungen waren zum Teil eine echte Herausforderung. Doch die Belohnung durch die grandiosen Aussichten waren alle Mühen wert. Vor allem genoss ich es, nach langer Zeit mal wieder einen Tag für mich ganz alleine zu haben, und kehrte kurz vor Abenddämmerung zufrieden und erfüllt wieder zurück zu unserer kleinen Almhütte.


Fun Facts:
  • Seit 1985 ist die Quindio-Wachspalme der Nationalbaum Kolumbiens. Mit einer Höhe von bis zu 60 Metern gilt sie als höchste Palmenart der Welt. Die Palmen können bis zu hundert Jahren alt werden kann.
Checklist:
  • Kollibri gesehen
  • Mit 17 Menschen in einem normalen Jeep gesessen

Dienstag, 11. Januar 2011

Mehr Licht geht nicht!



"Es werde Licht!", sagten sich in den 60er Jahren die Stadtverantwortlichen von Medellin, und schufen ein kleines, beschauliches Festchen. Mittlerweile ist das "Festival de las Luces" zu einer der größten Veranstaltungen im Land gewachsen und alljährlich überstrahlen zur Weihnachtszeit Millionen von Lichtern die zweitgrößte Stadt Kolumbiens. Vier Wochen lang, von Mitte Dezember bis Mitte Januar dauert das fantastische Spektakel und es ist einzigartig, welcher Aufwand dort betrieben wird. Ich habe mir sagen lassen, es sei die Mentalität der Medelliner, immer nach dem Besten, Höchsten und Größten zu streben. Vielleicht ist dies auch der Grund weshalb Medellin die einzige Stadt in Kolumbien ist, die über eine Metro verfügt. Welch ein Genuss übrigens, sich nach hunderten von Chickenbussen endlich mal wieder auf ein gut strukturiertes und modernes, öffentliches Verkehrsnetzwerk verlassen zu können.

Es dämmerte und wir standen auf einer großen Brücke, die gleichzeitig den Anfang des Lichterfestes markierte. Was sich vor unseren Augen auftat, war unbeschreiblich. Der ganze Fluß war überdacht mit kleinen Stegen auf denen riesige und in allen Farben leuchtende Räder installiert waren, die sich drehten. Sie wurden angetrieben durch Wasser, das in einem komlizierten Aufbau vom einem Ende eines jeden Steges zum anderen gepumpt wurde. Dieses Lichterkarusell zog sich sage und schreibe vier Kilometer lang flußabwärts. Lichter bis zum Horizont. Den Fluß flankierend fand dann das eigentliche Fest statt, vergleichbar mit einer Mischung aus Oktoberfest und Europapark. Während auf der einen Seite dieser Weihnachtsfanmeile unzählige Fressstände aufgebaut waren, standen auf der anderen Seite in regelmäßigen Abständen aufwendig inszinierte Miniaturfreizeitparks, durch die man hindurchlaufen konnte. Diese wahnsinnigen Lichtinstallationen, hatten als einzige Gemeinsamkeit Weihnachtsmotive zum Inhalt, unterschieden sich aber jeweils reichlich in Form, Farben und Figuren.

Mein holländischer Mitreisender und ich waren völlig geplättet von der überwältigenden Lichterflut. Ungwollt fanden wir uns zwischendurch auch selbst als Attraktion wieder. Da wir unter den anderen 250000 Besuchern so ziemlich die einzigen Westlichen Gesichter waren, stachen wir entsprechend heraus und wurden immer wieder angesprochen und angehalten, um abgelichtet zu werden. Lichter überall.



Die Krönung gab es zum Schluss. Eine riesige erleuchtete Wasserlandschaft, die zur Abkühlung einlud, bildete den Schlusspunkt der illuminierten Fluß- und Festmeile und diente gleichzeitig als Verbindung zu dem gegenüberliegenden Berg. Dieser war in seiner Gesamtheit gestaltet als womöglich die größte Weihnachtskrippe der Welt. Am Hang standen Esel, Hirtenhäuschen, Kaspar, Melchor und Baltasar und ganz oben natürlich die eigentlichen Protagonisten der Weihnachtsgeschichte. Allesamt waren überdimensional groß und in dem gleichen Stahl- und Maschendrahtgerüst konstruiert, mit der gleichen bunten Allufolie umwickelt und mit den gleichen Lichterketten umleuchtet, wie all die anderen fantastischen Aufbauten, die wir zuvor gesehen hatten. Die Aussicht von ganz oben und an der Seite des Christkindes war, im wahrsten Sinne des Wortes der Gipfel dieses grandiosen Schauspiels.

Fun Facts:


  • Das "Festival de las Luces" (auch "Alumbrado navideño de Medellín" genannt) ist ein Publikumsmagnet, in das mittlerweile mehr als 80 Unterveranstaltungen eingebettet sind.
  • Im Jahr 2008 wurden über 14 Millionen Lichter verwendet und mehr als 300 Kilometer Lichterketten verlegt.
  • Die Gesamtkosten, beliefen sich im Jahr 2009 auf umgerechnet 9 Millionen Dollar.

Checklist:
  • durch eine vier Kilometer lange Weihnachtsbeleuchtung gelaufen.

Montag, 10. Januar 2011

Bescherung per Skype



Eine unendliche Müdigkeit machte sich breit, als ich nach 5 Tagen Schifflein fahren endlich wieder festen Boden unter meinen Füßen hatte. Unsere komplette Überseecrew checkte ein im selben Hostel mit Innenhof, Swimmingpool, Dachterasse und allen möglichen anderen Annehmlichkeiten, die man sich nach so einer Odyssee nur wünschen konnte. Schnell noch eine Riesenportion Spaghetti, ein Bier und dann ab in die Falle. Ich schlief die Nacht durch wie ein Stein. Daran konnte nicht einmal die Tatsache etwas ändern, dass 10 Meter Luftlinie neben meinem Ohr eine Punkband die Nacht durch lärmte.

Am nächsten Morgen um 8 Uhr stürmte ich ausgeschlafen und frivol in meinen ersten Tag in Südamerika. Ich traute meinen Augen nicht, als im Hof meine drei australischen Schiffsgenossen noch immer wach waren und feierten. Neben ihnen standen eine beträchtliche Anzahl leerer Rum- und Colaflaschen. Das Rätsel um die außergewöhnliche Energieleistung der drei Partylöwen war schnell gelüftet. Wir waren jetzt schließlich in Kolumbien, wo bekanntermaßen nicht nur Weihnachten weiß gefeiert wird. Wie sich herausstellte hatten sich die Jungs nachts gleich mehrere Male in unserem Gemeinschaftsbad das ungestreckte Energiepülverchen durch die Nase gezogen und auf diese Weise die Nacht zum verlängerten Tag gemacht. Der Zauber hielt noch an, bis zum berühmten "Crash and Burn" gegen Nachmittag. Da sahen die Buben dann gar nicht mehr gut aus. Zu allem Unglück hatten sie 6 Stunden später einen Nachtbus ins Landesinnere gebucht. Wahrlich keine Kinder von Traurigkeit.

Es war Heilig Abend. Doch eine heilige und festliche Stimmung wollte irgendwie nicht aufkommen im 40 Grad brütenden Cartagena. Ich suchte nach ein Wenig Abgeschiedenheit in der wunderschönen Altstadt der Küstenmetropole. Aber gerade weil sie wirklich unübertroffen piktoresk, verspielt und eine einzige Augenweide ist, laufen hier auch ganze Heerscharen von Touristen rum. Nicht zuletzt wegen eben dieser Altstadt ist Caratagena eine beliebte Anlaufstation für Luxusliner und Traumschiffe.

Ich suchte die Flucht am Strand auf der anderen Seite der Stadt. Erfolglos. Auch hier reihte sich ein Hochhaushotel am anderen und die wenigen Flecklein Sandstrand waren maßlos übervölkert. Doch auf einem weit ins Meer reichenden Wellenbrecher gelang es mir, ein paar schöne Gedanken zu sammeln und mir vorzustellen, wie meine Liebsten in diesem Moment zuhause unseren alljährlichen Heiligabendspaziergang unter den schneebeladenen Tannen des Schwarzwalds unternahmen. Es war sehr eigenartig an diesem Tag alleine und am anderen Ende der Welt unterwegs zu sein. Ich vermisste meine Eltern und meinen Bruder.

Die gute Nachricht war, dass es mittlerweile so wunderbare Technolgien wie Skype gibt und wir um 22:30 Uhr MEZ (17:30 in Kolumbien) ein Liveschaltung vereinbart hatten. Es war ein sehr wohltuendes Gefühl plötzlich zuhause im Kreis der Familie zu sein. Alle strahlten, während im Hintergrund der kunstgeschmückte Christbaum leuchtete und wir gemeinsam zwei Lieder sangen. Jetzt kam Weihnachten auch bei mir an. Ich war gerührt. Als dann auch noch einer von Mamas selbstgebackenen Weihnachtsbrötchen durchs Bild huschte war ich nah dran, in meinen Rechner zu beißen. Ich beschloss, dass es jetzt Zeit war für die ferngesteuerte Bescherung, die ich von langer Hand geplant hatte. In der Wohnung hatte ich nämlich ein kleines Weihnachtspaket versteckt, welches die Zuhausegebliebenen nun suchen und öffnen sollten. Die Überraschung war gelungen und die Weihnachtsfreude in den Gesichter groß. Nach einer herzlichen Stunde verabschiedeten wir uns alle zufrieden und ich machte mich bereit für das zweite Weihnachtsfest an diesem Abend.

Dieses begann mit einem Reis-,Fleisch-, und Gemüsebrei, eingewickelt im Bananenblatt und endete mit Poolparty und Punkrockband in unserem Hostel. Und dazwischen lag noch das ein oder andere Glas Rumcola. Stille Nacht, heilige Nacht.

Fun Facts:

  • ein Tagesausflug von Cartagena entfernt liegt ein Vulkan, der anstelle von heißer Lava, warmen Schlamm spuckt. Das Schlammbad im Krater ist bei einem Besuch obligatorisch.
Checklist:
  • Weihnachtsspaziergang am Karibikstrand
  • an Heiligabend im Pool gebadet

Advent, Advent, die Sonne brennt

Sonntag, 9. Januar 2011

Todeszone Toilette



Das Paradies war teuer erkauft! Der Preis kam in Gestalt der zweitägigen Rückreise aufs kolumbianische Festland. Es war Horror in seiner reinsten Form. Selbst der Kapitän gestand im Nachhinein, dass er den Trip niemals gemacht hätte, wenn er nicht an Weihnachten zu seiner Frau in Caratagena gewollt hätte.

In aller Früh ging es morgens los. Wir machten das Boot startklar für die bevorstehende Fahrt nach Cartagena und mussten alle unsere Dinge gut verstauen und alles so befestigen, dass nichts umfallen konnte. Der Kapitän warnte uns, dass es sehr rauh werden würde und die Nacht eng, da es unmöglich sei, unter diesen Bedinungen draußen zu Schlafen, geschweige denn irgendwelche Hängematten aufzuhängen. Wir waren einmal mehr eingeschüchtert und schmissen uns, einer nach dem anderen, vorsorglich die Tabletten ein, die uns auf dem Hinweg schon so gute Dienste erwiesen hatten. Doch dieses Mal blieb die Wirkung aus. War ich immun geworden? Neben mir kotzte Troy die Cornflakes ins Meer. Offensichtlich ging es den anderen auch nicht besser. Nein, ich war nicht immun. Doch gegen diesen harten Seegang halfen nicht einmal mehr unsere Wunderpillen, die andernorts in der Lage waren, ein ganzes Ross umzuhauen. Mir war sterbensschlecht. Und an diesem Zustand sollte sich leider auch nicht mehr viel ändern in den nächsten 36 Stunden. In dieser Zeit bewegte ich mich ungelogen nur ein einziges Mal von meinem Fleck. Doch dazu später. Der Tag wollte nicht vorübergehen und Stunde um Stunde schleppte sich in schwindelerregendem Wellengang da hin. Ich konnte den ganzen Tag nichts essen. Auch das Abendessen fiel aus. Ganz abgesehen davon, dass es sowieso unmöglich gewesen wäre irgendetwas zuzubereiten hatte ohnehin niemand Appetit.

Die Nacht war das hässlichste. Ich war todmüde, wollte aber auf keinen Fall meinen Blick vom Horizont abwenden, dem einzigen ruhenden Pol in dieser unsäglichen Riesenschaukel. Nach links, nach rechts, nach oben, nach unten - und alles zur gleichen Zeit. Unaufhörlich und heftig wippte unser schwimmender Sarg über die unbarmherzigen Wellen. Die Segel hart am Wind, hatte unser Boot eine seitliche Neigung von gefühlten 45 Grad. Ich war regelrecht eingestaucht in einer kleinen Nische im Heckteil des Bootes. In regelmäßigen Abständen schwappte ein ordentlicher Schwall Wasser auf meine Hose und verhinderte den Schlaf, den ich ohnehin nie gehabt hätte. Immerhin hatte ich einen Platz im Freien und an der frischen Luft - alles andere wäre auch unvorstellbar für mich gewesen. Ich weiß bis heute nicht, wie die beiden Kolumbianerinnen den Trip überleben konnten. Sie waren die ganzen beiden Tage unter Deck am dunkelsten Ort des Bootes und gaben keinen Ton von sich.

Dann kam das Unvermeidbare. Ich hatte versucht den Gang zur Toilette mit allen Mitteln zu verhindern. Bis um 4 Uhr morgens war es mir gelungen, ihn herauszuzögern, doch es wurde davon nicht besser. Es half alles nichts, ich musste allernötigst ein großes Geschäft verrichten. Langsam versuchte ich aufzustehen, ohne den Blick vom Horizont zu lösen. So weit so gut. Der schwierige Teil begann mit dem Gang unter Deck. Dort lagen in pechschwarzer Umgebung die Leichen meiner Mitreisenden, über die ich irgendwie hinüberzuklettern versuchte. Die gottlose Schräglage und die ruppigen Auf- und Abbewegungen des Bootes waren dabei nicht von Hilfe. Genausowenig wie die Finsternis dort unten. Irgendwann hatte ich es dann geschafft und war im muffigen Vorderteil des Schiffes angelangt. Dort wusste ich immerhin, wo eine Lampe lag. Mir war schlecht. Ich hangelte mich zum Ort des geplanten Geschehens und nahm die nächste Herausforderung in Angriff - den eigentlichen Toilettengang. Luken auf, hinsetzen, festhalten, abstützen, festklammern, Hau Ruck. Ich spare mir an dieser Stelle alle weiteren Ausführungen. Es ging zwar alles gut, aber fest steht, dass die Mission "große Geschäfte" ein Abenteuer der ganz speziellen Art war und ich es nur ungern noch einmal wiederholen möchte.

Der Morgen nach der durchquälten Nacht fühlte sich gleich ganz anders an. Die See hatte sich ein wenig beruhigt, die Sonne schien und wir alle wussten, dass wir heute Abend wieder festen Boden unter den Füßen haben würden. Die größte Belohnung für unsere Strapazen gab es allerdings, als plötzlich ein gutes Dutzend Delphine neben uns herschwamm. Beinahe eine Stunde lang spielten sie mit Boot und Wellen und demonstrierten uns in unzähligen Sprüngen ihre Akrobatik. Wir waren aus dem Häuschen und beobachteten jede Sekunde des Schauspiels, bevor sich die meisten von uns für den Rest des Tages wieder mit Tabletten betäubten.



Am Abend dann die Erlösung. Land in Sicht! Von weitem sahen wir bereits die weißen Hochhäuser von Cartagena am Horizont aufblinken. Wir hatten es geschafft und waren tatsächlich nur noch einen Steinwurf von Südamerika entfernt. Die Stimmung während der letzten Stunde an Bord war großartig. Die See war mittlerweile friedlich geworden und zum Sonnenuntergang krochen alle aus ihren Löchern und verteilten sich an Deck. Ich suchte wieder meinen Lieblingsplatz ganz vorne auf der Relingsspitze auf und lauschte meiner Reisemusik, während wir der kolumbischen Küste entgegenstürmten. Es war ein triumphales Gefühl, als wir schließlich an der nächtlichen Skyline von Cartagena vorbeischipperten. Wir alle gratulierten uns und schlugen ein auf die überstandene Überfahrt. Der Kapitän brachte uns sicher an Land. Wir verabschiedeten uns herzlich und zogen weiter in die Altstadt, wo wir uns allesamt in einem Hostel einquartierten. Nur der Kapitän ging wieder zurück an Bord. Es war sein zuhause.

Fun Facts:
  • Nachts musste jeder von uns eine Schicht der Nachtwache übernehmen und die Augen offen halten nach Lichtern am Horizont. Im schlimmsten Fall wird man nämlich von einem großen Tankschiff übersehen und überfahren.
  • In der Bucht vor Cartagena kommt es teilweise immer noch zu Piratenüberfällen. Kapitän Marcos war hier selbst auch schon einmal in einer brenzligen Situation, war aber glücklicherweise bewaffnet und konnte die Piraten abschrecken. Er sagt, jeder der öfter durch diese Gewässer fährt sei zum eigenen Schutz bewaffnet.
Checkliste:
  • überlebt

Donnerstag, 6. Januar 2011

Kopfüber in die Karibik



Es war das Paradies. Um 6 Uhr wachte ich auf weil mir ein wenig kalt war. Ich hatte an Deck geschlafen, wie die meisten von uns. Meinem ersten zerknitterten Blick über die Reling mochte ich kaum Glauben schenken und richtete mich auf, reckte und streckte mich und rieb mir die Augen. Doch auch die vom Müdigkeitsschleier befreiten Augen projezierten ein unverändertes Panorama auf meine Netzhaut. Mein Herz geriet in Wallung, denn der Rundumblick war atemberaubend. Wir lagen geankert in einer kleinen Lagune, die umringt war von einsamen Palmeninseln, wie man sie sich nicht schöner hätte vorstellen können. Das Wasser leuchtete in sieben blauen Farben und war klar wie Kristall. Ein gutes Dutzend anderer Boote lag ebenfalls in den sanften Wasserschaukeln der "Badewanne", wie dieser Ort passenderweise genannt wird.

Nach und nach wachten alle auf und ließen Ihrer Begeisterung in Worten und Taten freien Lauf. Kopfüber in die Karibik - Frühsport in der Badewanne. Es folgte Herzhaftes: Kaffee, Pfannkuchen, Schinken, Spiegeleier und Fruchtshake. Was für ein Start in einen Tag.
Als erste Amtshandlung nach dem Frühstück, schwamm ich erst einmal auf die lockende Trauminsel, die uns die ganze Zeit schon anstrahlte. Gegen die Strömung dauerte es 20 Minuten, bis ich dort ankam. Dann war ich mutterseelenalleine auf einem der schönsten Flecklein Erde, die ich jemals gesehen hatte: 250 Meter Durchmesser, in fünf Minuten einmal komplett rund herum gelaufen, nichts als Kokospalmen und weißer Strand, in der Mitte ein Wasserloch, strahlende Sonne, eine frische Meeresbrise und eine Aussicht von der man am Liebsten nie mehr seinen Blick senken möchte. Gibt es diese Insel zu kaufen? Ich will sie sofort haben! Immer wieder musste ich mir bewusst machen, wo ich gerade war. Nicht oft im Leben gibt es Momente,  in denen man das Gefühl hat, angekommen zu sein. Dieser war einer davon. Ich genoss ihn eine geraume Weile, bevor ich eine kleine Unendlichkeit später wieder meinen Rückweg antrat.

Zurück an Bord, fand ich das Schiff ungewohnt geräumig wieder. Der Kapitän hatte nicht zu viel versprochen. Ich ließ mir berichten, dass die ganze Zeit während ich auf der Insel war, kleine Boote vorbeikamen um die bestellten und heiß ersehnten Güter abzuholen. Ich bekam gerade noch mit, wie zwei amerikanische Weltumsegler ihren bestellten DVD-Player abholten. Dass wir auf einmal mehr Platz hatten, verdankten wir aber vornehmlich der Tatsache, dass sich unser Boot bereits am Vorabend gepaart hatte mit einem anderen Boot, welches ebenfalls dem Kapitän gehört und das Jahr über unbewohnt in der Lagune schwimmt. Wir konnten uns also nun etwas großzügiger verteilen und lesender-, angelnder-, schlafender-, sonnender- und badenderweise dem Karibikalltag fröhnen. Zwischendurch unternahmen wir ein paar kleinere Schnorchelausflüge ans Riff, wo ich wieder alter Bekannte traf: Haie, Rochen, Barracudas, und all die bunten Fischlein, die hierzugegen eben so unterwegs sind. Und das war er, unser Alltag in der Karibik. Zwei wunderschöne Tage lang lagen wie hier auf der Sonnenseite des Lebens und mussten uns immer wieder anstupsen, um all dies zu begreifen.

Auch an den Mahlzeiten gab es nichts auszusetzen und wir speisten stets sehr lecker. Nicht selten gab es selbst Gefangenes. Vor allem die Trophäen unseres angelnden Holländers wurden meist direkt in Fischsandwiches für die Allgemeinheit verwandelt. An einem Abend gab es zur Kröung und quasi als vorgezogenen Weihnachtsbraten einen riesigen Truthahn. Abends saßen wir zusammen und tranken einen Satz eisgekühlter Biere. Es war ein wirklich lustiger Haufen, den wir beieinander hatten und wir verstanden uns alle gut. Wir spielten bis spät Gitarre, erzählten uns Witze und führten angeregte Gespräche. In den Nächten frischte meist der Wind auf und es begann zu regnen. Die Schnarcher wurden dann auf die überdachten Hängematten am Bug des Bootes verbannt. Wir anderen verteilten uns auf die restlichen und halbwegs geschützen Flächen an Bord und schlummerten ein in karibischen Träumen.


Fun Facts:
  • Am ersten Morgn nach unserer Ankunft gab es von einem der Nachbarboote folgende Durchsage über den Bordfunk: "Aquajogging um 9 Uhr hinter dem Boot Dreamcatcher. Wer selbst keine Schwimmnudel hat, kann sich hier welche ausleihen. 9 Uhr - Aquajogging - Dreamcatcher. Over."
  • Kuna Indianer, die auf den Hauptinseln etwas ausgefressen haben werden zur Strafe teilweise bis zu einem Monat lang auf einer einsamen Insel ausgesetzt.

Checklist:
  • in der karibik auf einem Segelboot übernachtet
  • in 5 Minuten quer über eine Palmeninseln gelaufen
  • selbst gefangenen Thunfisch gegessen
  • das Pardies gesehen

Mittwoch, 5. Januar 2011

Leinen los, wir fahren ab!



"Fünf Tage auf einem Segelboot durch die Karibik", das liest sich wie eine Anzeige in einem Magazin für Traumferien. Um es gleich vorweg zu nehmen: es sollten keine reine Traumferien werden.
Alles begann in Portobello. In unserer Abfahrtsbucht lagen eine ganze Reihe hübscher Boote, Yachten und Katamarane und in gespannter Erwartung fragten wir uns schon am Vortag, welches Boot es wohl sein würde, auf dem wir die nächsten Tage auf hoher See verbrächten.

Früh am nächsten Morgen holte uns Kapitän Carlos mit seinem kleinen Aussenborder Schlauchboot ab und schipperte im Slalom um all die zuvor gesehenen, hübschen Boote, bis wir schließlich an der "Melody" ankamen. Mit dem ersten Anblick kam die erste Ernüchterung. Das Schifflein war vergleichsweise klein und machte auch nicht den fortschrittlichsten aller denkbaren Eindrücke. Beim Betreten des Bootes war auf einen Blick klar: Das gibt ein Platzproblem! Zu unserer begeisterungsarmen Überraschung waren drei weitere Personen bereits an Bord: des Kapitäns mormonischer Steuermann und zwei kolumbianische Mädchen, die zuständig sein sollten für unser leibliches Wohl. Dazu kamen acht von uns - drei tätowierte australische Surfer, zwei neutrale Schweizer, ein ruhiger holländischer Angelfreund, eine krisenresistente Australierin, die seit 8 Jahren nicht mehr zuhause war und meine Wenigkeit. Zusammen mit dem Kapitän waren wir nun also zwölf Seelen an Bord eines 15 Meter langen Schiffchens, das bis obenhin vollgestopft war mit Lebensmitteln, Werkzeugen, zwei Motorrädern und allem möglichen anderen Gerümpel.

Es stellte sich heraus, dass Kapitän Marcos der Go-To-Guy ist in den Gewässern zwischen Panama City und Cartagena. Hier versorgt er regelmäßig die im San Blas Archipel ankernden Boote mit Fressalien und anderen nützlichen Dingen (z.B. DVD Player). Dafür verlangt er einen Aufpreis von respektablen 30%. Auf diese Weise verdient er, während der Backpackertrips, die für diese Versorgerei herhalten müssen, zusätzlich gutes Geld. Doch in seiner wortkargen "Ansprache" versicherte uns Marcos, dass der Räumungsverkauf gleich schon am nächsten Morgen stattfinden würde und es dann wieder genügend Platz an Bord gäbe. Danach klärte er uns über die geplante Marschroute auf: Die Anreise zu den San Blas Inseln solle einen Tag in Anspruch nehmen, der Aufenthalt im San Blas Archipel zwei weitere Tage und die Weiterreise auf hoher See nach Cartagena die letzten beiden Tage.

Dann folgten die drei heiligen Regeln:
1. Regel: "Wenn ihr die Toilette benützen müsst, verschließt immer und unter allen Umständen die Wasserventile, wenn ihr fertig sein - ansonsten wird es ein äußerst widerliches Unglück geben." Überhaupt waren wir Männer angehalten, zum Pinkeln gar nicht erst die ganz vorne im dunklen Bug versteckte Toilette aufzusuchen sondern statt dessen die Reling.
2. Regel: "Kein Mensch auf diesem Boot, außer mir rührt das GPS-Gerät an! Wenn wir das GPS-Gerät verlieren haben wir ein echtes Problem. Ist das verstanden?" Wir quittierten mit einem eingeschüchterten Nicken.
3. Regel: "Keiner fällt über Bord! Haltet Euch fest wenn ihr rumlauft. In den 10 Jahren, in denen ich diese Touren anbiete habe ich noch keinen einzigen Backpacker verloren. Das können nicht alle behaupten. Dies ist kein Spaß - haltet Euch fest! Wenn bei Dunkelheit jemand über Bord geht ist es nicht garantiert, dass wir ihn wieder finden - schon gar nicht bei dem Seegang, der zur Zeit herrscht. Klar?" Wir nickten noch eingeschüchterter.

Vor allem die letzte Regel räumte unsere letzten Zweifel beiseite bezüglich der Einnahme der kurzfristig besorgten Kotztabletten. Und noch bevor wir in See stachen, hatte jeder von uns Matrosen eine der Wunderpillen geschluckt. Dann ging es los! Der Anker gelichtet. Das Segel gehisst. Wir waren noch keine fünf Minuten unterwegs, da verstanden wir, warum es Regel Nr.3 gab. Die See war rauh und unsere kleine Walnussschale von einem Boot wurde zum Spielball der Wellen. Wäre einem von uns nach einem Bootspaziergang zumute gewesen, dann hätte er sich in der Tat stramm festhalten müssen, um nicht in Gefahr zu laufen über Bord zu gehen. Doch abgesehen von der "Todeszone Toilette", gab es zum einen gar keinen Platz wo man hätte hin laufen können und zum anderen waren wir alle ausreichend beschäftigt mit der Fixierung des Horizonts. Eine halbe Stunde später zeigten dann die Pillen ihre Wirkung. Ich will ehrlich nicht wissen, was in diese kleinen Reisefreunde alles reingemischt wurde. Schmerzmittel, Blutdrucksenker, Schlafmittel, Morphium, Halluzinogene - Gott weiß was in diesem Moment alles durch unsere Blutbahnen rauschte. Wir waren alle ohnmächtig und es folgten lange Stunden in Halbschlaf und Delirium.

Als ich endlich wieder meinen Blick scharf stellen konnte und langsam Leben in meinen Körper zurückkehrte dämmerte es bereits und wir waren nicht mehr weit entfernt von unserem Tagesziel. Bald munterten wir alle vollends auf und gerieten geradezu in eine gesteigerte Euphorie, als wir in der Ferne plötzlich die ersten Silhouetten kleiner einsamer Karibikinseln ausmachen konnten. Wir hatten nun das schützende Riff erreicht, die See wurde ruhiger. Bald würden wir da sein. Es war ein unbeschreiblich reiches Gefühl von Freiheit, als ich mich irgendwann ganz vorne auf die schaukelnde Reling setzte und mit einer lauen und salzigen Brise im Haar dem Funkeln und Flackern des sich im Wasser spiegelnden Vollmondes zuschaute - dem Karibiktraum entgegen.

Fun Facts:
  • Die San Blas Inseln im karibischen Meer, bilden ein Archipel von mehr als 350 Inseln, die sich über knapp 180 Kilometer von Panama bis zur kolumbianischen Grenze erstrecken.
  • Die Inseln sind zu etwa 10% besiedelt und werden von den Kuna Indianern bewohnt und autonom verwaltet.

Checklist:
  • Kotztabletten gegessen